Das Glück, Vermittler zu sein

■ Die Berliner Galerie Fahnemann, eine der ersten Adressen für zeitgenössische Kunst in der Stadt, hat zugemacht. Werner Köhler sprach mit dem Galeristen über seine Gründe und seine Ideen zu einer Neuordnung...

taz: Sie haben vor kurzem Ihre Galerie geschlossen. Sind Sie ein Opfer der hohen Gewerbemieten geworden? Bringt der Kunsthandel nichts mehr ein?

Clemens Fahnemann: Ich bin überhaupt nicht in finanziellen Schwierigkeiten und auch kein Opfer des Kunsthandels, weil ich nie in dem Sinne im Kunstmarkt gesteckt habe wie andere Galerien. Ich habe gerade – zumindest in den ersten Jahren – schwer verkaufbare Kunst vorgestellt. Denken Sie an Ulrich Görlich, Jessica Diamond oder die ersten Arbeiten von Olaf Metzel, Rainer Mang oder Hermann Pitz. Das waren auf den Raum bezogene Arbeiten, teilweise auf die Wand gemalt, also Arbeiten, die nicht schnell zu plazieren und zum Teil unverkäuflich sind. Bei den späteren Ausstellungen von Künstlern wie Frank Stella oder Georg Baselitz oder auch Imi Knoebel ist der Markt ja schon seit Jahren aufgeteilt. Wenn ich solche Positionen wie Günther Förg oder Imi Knoebel nach Berlin hole, dann hat das zunächst einmal den Grund, daß – so komisch sich das auch anhört – diese Künstler hier überhaupt nicht vertreten und nahezu unbekannt sind.

Was ist dann der Grund für Sie, die Galerie zuzumachen?

Der Grund ist, daß ich denke, daß sowohl die Kunstproduktion als auch die Kunstvermittlung in einer tiefen Krise stecken. Warum das so ist, darüber kann man viele Vermutungen anstellen. Meine Begeisterung, die ich hatte, als ich die Galerie vor zehn Jahren aufgemacht habe, hat total nachgelassen. Damals gab es noch Sachen zu entdecken, waren viele Künstler noch kurz vor oder mitten in ihrer besten Schaffensperiode. Da entwickelte sich etwas, und es machte einen unglaublichen Spaß, das mitzuverfolgen. Man hatte das Gefühl, auf dem Kamm einer Welle zu sein.

Es war auch in der documenta IX zu sehen, daß es in der Gegenwartskunst viele Zitate über Kunst, und Zitate über die Zitate in der Kunst gibt, aber die eigentliche Kunstproduktion einen Stillstand erreicht hat und häufig langweilig und beliebig geworden ist. Ich habe große Probleme als Galerist, das weiterzuvermitteln. Ich bin kein Händler in dem Sinne, daß ich jemandem etwas aufschwätzen kann oder will. Ich muß die Kunst, die ich ausstelle, selbst überragend finden. Ich habe ein gutes Auge und weiß, wann ich sagen kann, ich habe hier eine Skulptur von dem und dem Künstler, das ist eine ganz überragende Arbeit. Nur wenn ich das wirklich weiß, kann ich das auch vermitteln. So habe ich meine Arbeit gemacht.

Denken Sie nicht, daß dieses Gefühl der Übersättigung auch aus Ihrem Alter, Ihrer Erfahrung als Galerist so kommen mußte? Es gibt doch sicherlich heute ebenfalls sehr begabte und gute Künstler, so wie vor zehn Jahren auch.

Ja, vielleicht. Ich möchte Ihnen da aber nicht unbedingt recht geben. Die Künstler, die ich anfangs in der Galerie hatte, hatten sich bereits mehrere Jahre intensivst mit Kunst und deren Produktionsbedingungen auseinandergesetzt, bevor ich sie überhaupt davon überzeugen konnte, in einer Galerie auszustellen. Diese Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit der Theorie und der Kunstgeschichte vermisse ich bei den meisten jungen Künstlern. Ich möchte ja gerade mit jungen Künstlern arbeiten. Mit der ganzen Struktur, die ich mir aufgebaut habe, könnte ich ja gerade für junge Künstler eine Vermittlungsarbeit leisten, und da lechze ich doch auch nach. Aber ich sehe zur Zeit generell wenig Möglichkeiten, wofür ich mich einsetzen könnte. Ich will die jungen Künstler nicht verurteilen oder aburteilen, sondern ich will sagen, daß die jungen Künstler sich wieder stringenter angucken sollen, was in den letzten Jahren passiert ist, statt nach jeder ersten Idee und zwei gemalten Bildern auf den Markt zu wollen.

Nun sind die Informationsmöglichkeiten, was zeitgenössische Kunst angeht, in Berlin ja nicht die besten. Das hängt auch mit der Ausstellungspolitik der Institutionen zusammen. Die öffentlichen Institutionen leisten wenig Vermittlungsarbeit.

Ich habe mich, seit ich die Galerie in Berlin habe, kulturpolitisch auf verschiedenen Gebieten immer wieder betätigt, ob das nun damals der IBK (Interessengemeinschaft Berliner Kunsthändler e.V.) oder meine Beratertätigkeit für Hassemer gewesen ist. Berlin ist eine Stadt, die als Kulturstadt weltweit einen sehr guten Ruf hat. Wenn man aber genauer differenziert, bezieht sich das nur auf die Musik, auf die Theaterlandschaft, auf die Museen. Speziell die aktuelle Kunst fristet in Berlin ein Schattendasein und ist öffentlich gar nicht präsent. Ich habe 1985 in einem Arbeitspapier gefordert, daß im Bereich der aktuellen bildenden Kunst regelmäßig alle zwei Jahre mindestens eine große Ausstellung gefördert werden soll. Das war zwei, drei Jahre nach „Zeitgeist“ (1982) gewesen, wo Berlin kurzzeitig von amerikanischen Sammlern überschwemmt worden war. Dann ist aber alles wieder abgeflaut. Es gab einen Parlamentsbeschluß, und danach kamen aufgrund meines hart umkämpften Papiers dann Beuys (1988), „Stationen der Moderne“ (1988/89), „Zeitlos“ (1988) usw. Da habe ich sehr viel bewegt und Politik gemacht, aber ich muß Ihnen auch sagen, fast im Alleingang. Es ist das Erstaunliche, daß es im Bereich aktueller bildender Kunst fast gar keine Lobby in Berlin gibt.

Wo sehen Sie die Ursachen für diese Vernachlässigung der bildenden Kunst?

Ich denke, Berlin ist aus protestantischen und preußischen Traditionen heraus eine Stadt, die eher bilderfeindlich ist. Es hat in Berlin noch nie eine Situation für aktuelle und für Avantgarde- Kunst gegeben, und das war schon am Anfang des Jahrhunderts so. Ausstellungen hat es natürlich immer gegeben, aber eine Sammlerschicht, die das auch längerfristig hätte tragen können, hat es hier noch nie gegeben. In Köln gibt es zum Beispiel diese Art Dreiecksbeziehung zwischen Sammlern, Künstlern und Galeristen, die im besten Sinne zusammenspielen, wo der Galerist den Künstler wirklich betreut, denn der Künstler braucht jemanden, der in der Realität steht und ihm das Praktische abnehmen kann, und wo der Sammler den Galeristen nicht übergeht, weil er dessen Funktion anerkennt. In Berlin heißt es dagegen gleich abfällig: diese Kommerzgeschichte. Die Galeristen haben in Berlin das Ansehen, sie seien eben nur Händler, die nur Geld machen wollen. Das ist hier in Berlin alles auf den Kopf gestellt, und es wird häufig völlig übersehen, welche enorme Arbeit ein Galerist tatsächlich leisten muß. Das, was ich und meine Kollegen hier für die aktuelle Kunst machen, geschieht doch beinahe unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Denken sie an René Block und die Ausstellungen hier mit Beuys. Wer weiß das noch? Oder wer weiß, daß 1987 beispielsweise fünf Künstler meiner Galerie an der documenta VIII teilgenommen haben, Künstler, die nur mit meiner Galerie groß geworden waren. Wen interessiert das hier?

Sehen Sie eine Möglichkeit, die Situation zu verbessern?

Berlin hat so viele Voraussetzungen und Möglichkeiten, da ließe sich sicherlich vieles verbessern. Ich möchte einmal folgendes dazu sagen. Ich werde immer wieder geprügelt, weil ich das so offen benenne, aber ich werde trotzdem, auch wenn das ein großer Schaden für mich ist, einmal zusammenfassen, wie ich denke, daß Berlin eine Chance hätte, mit diesen Institutionen oder ohne diese Institutionen etwas zu machen, was wirklich sinnvoll wäre.

Ich finde erstens, daß die Berlinische Galerie mit ihrer wirklich schlechten Ankaufs- und Ausstellungspolitik, die völlig konzeptionslos daherkommt und völlig überbewertet ist, gestutzt werden und den Gropius-Bau verlassen müßte. Der Gropius-Bau müßte ganz frei werden und mit einer Art Spielleiter besetzt sein, der Berlin an die große, internationale Ausstellungsszene anbindet, damit große Ausstellungen nicht immer an Berlin vorbeigehen. Und das nicht erst in zehn Jahren, sondern so bald wie möglich. Die zweite Forderung wäre, daß die Institutionen NBK (Neuer Berliner Kunstverein), NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst) und Staatliche Kunsthalle und auch die FBK (Freie Berliner Kunstmesse) aufgelöst werden oder in eine andere Institution übergehen sollten. Das, was dort für Millionenbeträge an Lottozuschüssen bisher geleistet worden ist, steht in keiner Relation zum Ergebnis. Das muß man einmal so hart sagen, und ich stehe mit meiner Meinung nicht alleine da. Jeder, mit dem ich darüber rede, Galeristen, Künstler, Sammler, Ausstellungsmacher, jeder ist dieser Meinung – nur sagt keiner was offen dazu. Wenn man vergleicht, was beispielsweise der Kunstverein Münster seit den sechziger Jahren für tolle Ausstellungen mit internationaler Orientierung macht, und zwar mit einem minimalen Bruchteil der Gelder, die hier in den genannten Institutionen jeder einzelnen zur Verfügung stehen, dann kann da doch etwas nicht stimmen. Ich will da keine einzelnen Personen für diese Situation verantwortlich machen. Es haben sich in Berlin einfach aus der Inselsituation heraus diese Pflänzchen mit diesen Millionenzuschüssen gebildet, aber Berlin ist nun einmal keine Insel mehr.

Stellen Sie sich doch einmal vor, diese Millionen würden für sinnvolle Ausstellungen in den Gropius-Bau gehen, diese Institutionen würden geschlossen und eine Art Portikus wie in Frankfurt würde hier in Berlin installiert. Das fände ich eine vernünftige Antwort auf all die Fragen, die man hier in Berlin, was bildende Kunst angeht, geben kann, und ich sehe keine Alternative dazu. Sie wissen, was Kaspar König in Frankfurt bewegt hat und bewegt. Eine Institution wie ein Portikus könnte folgendes leisten: Die Leute sollen mit dem konfrontiert werden, was woanders an neuen Positionen passiert. Man muß das ja nicht alles im einzelnen gut finden, aber man muß informiert werden. Die jungen Künstler müssen eine Gelegenheit finden, sich damit auseinandersetzen zu können, die Sammler können sich informieren, die Museen können sich informieren. Es könnte doch eine Konfrontation stattfinden, die spannend wäre.

Besteht eine Kommunikation zwischen den Galeristen über diese Probleme?

Ja. Es gibt eine Initiative in dieser Richtung, nicht nur von Galeristen, sondern von Kunstinteressierten allgemein, und es wird etwas passieren. Ich möchte dazu nicht mehr sagen, weil ich hier Rücksichten zu nehmen habe und nicht alleine vorpreschen will.

Wie planen Sie jetzt, in Zukunft weiterzumachen?

Ich will die Zeit eher wieder dafür nutzen, sensibel aufzuspüren, was an aktueller Kunst da ist, was mich interessieren könnte. Kunst ist mein Leben. Ich möchte nur aus dieser Mühle heraus, aus diesem Verwaltungsapparat, den die Führung einer Galerie mit sich bringt. Die Kunstmessen, die ständigen Ausstellungen, Auf- und Abbau, Herumreisen, das ist irre anstrengend. Ich will mir in Ruhe überlegen, welche Form von Vermittlung ist eigentlich suche. Mir schwebt so etwas wie eine Salonidee wie zu Anfang des Jahrhunderts vor. Da sind wirklich kunstinteressierte Leute gewesen, die auch gesagt haben, das finde ich schrecklich, fürchterlich, gräßlich, ganz primitiv. Da hat man keine Angst gehabt, Meinungen zu äußern, man hat sich mit den Künstlern auseinandersetzen können, sich in ein Werk vertiefen können. Solch eine Konfrontation finde ich gut.

Die Künstler sind die interessantesten Leute in unserer Gesellschaft, diejenigen, die am kritischsten sind und am weitesten nach vorne denken. Ich habe mit niemandem so spannende Gespräche gehabt und habe nie so viel gelernt wie von den Künstlern. Ich bin eben auch in der Lage, mich unter Leuten zu bewegen, die Einfluß haben, die Geld haben, die Macht haben. Ich habe das Glück, Vermittler zu sein, beides zu können, und mich sowohl in der Welt der Künstler als auch in der der Sammler auszukennen. Ich will für mich Wege finden, daß das auch wieder Spaß macht, daß das eine sinnvolle Arbeit wird. Was ich in den letzten Jahren gemacht habe, in der Galerie zu sitzen und die Routine durchzuziehen, das kann ich schlecht mit meinem Leben verbinden.