Abschiebung ins Niemandsland

Oberstes Gericht Israels gestattet Deportation von 417 Palästinensern/ Der Libanon will sie jedoch nicht aufnehmen/ Popularität der israelischen Regierung steigt  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Das oberste Gericht in Jerusalem hatte gerade die einstweilige Verfügung gegen die sofortige Deportation von mehr als 400 Palästinensern aufgehoben – da setzte sich die aus 22 Autobussen bestehende streng bewachte Militär- Kolonne mit den gefesselten und mit Augenbinden versehenen Deportationskandidaten auch schon in Richtung der israelischen „Sicherheitszone“ im Südlibanon in Bewegung. Dort wurden sie in Lastwagen umgeladen und bei Nacht und Nebel weiter nach Nordosten, in Richtung der Beka- Senke verschickt.

Da die libanesische Regierung jedoch beschlossen hatte, den Konvoi nicht in das von ihr kontrollierte Gebiet aufzunehmen, waren die Palästinenser gezwungen, in einer niemandslandähnlichen Zone zwischen den israelischen und libanesischen Militärlinien im von Israel besetzten Südlibanon umherzuirren. Daß dabei israelische Sicherheitskräfte Schüsse abgegeben haben sollen – um eine Rückkehr der Abgeschobenen auf israelisches Territorium zu verhindern –, wurde von der Regierung in Jerusalem dementiert. Für sie ist die „Deportationsoperation“ jetzt erledigt und abgeschlossen.

Die Freitag aus Washington zurückkehrenden Mitglieder der israelischen Verhandlungsdelegationen erklärten, daß trotz der gegenwärtigen Krise am Ende der 8.Verhandlungsrunde mit Sicherheit zu erwarten ist, daß alle bilateralen Kontakte im Rahmen des Friedensprozesses wieder aufgenommen werden, sobald der neue amerikanische Präsident im Amt ist. In israelischen Regierungskreisen wird angenommen, daß sich nach dem gegenwärtigen Interregnum im Washington eine für Israel günstigere Atmosphäre und Konstellation ergeben wird, wenn Clintons Leute (die Israel nahestehen) nach Absprache mit Rabin und anderen Nahost-Regierungschefs die Verhandlungen zwischen Israel und seinen Nachbarn auf Grundlagen aufbauen, die sich wesentlich von der Bush-Baker-Konzeption unterscheiden. Nach weiterem intensiven „Kartenmischen“ und wahrscheinlich auch einer Reihe von Geheimverhandlungen wird die „Clinton-Epoche“ beginnen; und es ist klar, daß die arabischen Gesprächspartner – und das bedeutet auch die Palästinenser – dann nicht „Nein“ sagen werden, wenn sie die neuen Verhandlungseinladungen aus Washington erhalten. Deshalb, so erklärt Jerusalem, ist es nicht wesentlich, wenn Palästinenser nach den massiven Deportationen zu keinen weiteren Verhandlungen bereit sind.

Gleichzeitig weist man in halbamtlichen Kreisen auf die sich anbahnende Möglichkeit eines direkten israelischen Dialogs mit bestimmten Vertretern der PLO hin. So ist die PLO bereit ist, einige von Israel gestellten Bedingungen (zum Beispiel Einschränkung des Widerstandskampfes in den besetzten Gebieten) zu erfüllen.

Die Deportation Hunderter angeblicher Hamasaktivisten hat, wie man jetzt erst auch in Regierungskreisen zugibt, die Widerstandsbereitschaft der palästinensischen Bevölkerung wesentlich gesteigert, in den besetzten Gebieten begann ein Generalstreik. Polizei und Militär bleiben im Alarmzustand, mit einer Eskalation der Intifada muß gerechnet werden.

Das Hauptziel der Deportation, durch die die Rabin-Regierung das verlorene Vertrauen der israelischen Öffentlichkeit zurückzugewinnen wollte, mag wenigstens vorübergehend erreicht worden sein. Eine am Freitag veröffentlichte Meinungsumfrage zeigt, daß 91 Prozent der jüdischen Bevölkerung Israels die Massendeportation gutheißen.

Den linkszionistischen Meretz- Ministern wird seitens ihrer Gefolgschaft vorgeworfen, die „Sklaven Rabins“ geworden zu sein, der Bevölkerungs-Transfermethoden realisiert, von denen die Rechtsextremen früher, in der Likudkoalition nur geredet haben. Erziehungsministerin Frau Schulamit Aloni (Meretz), die in der Vergangenheit auch vereinzelte Deportationen auf das schärfste verurteilt hat, rechtfertigt ihre gegenwärtige Unterstützung mit dem Argument, daß diese Deportationen schlimmere Strafaktionen der Behörden in den besetzten Gebieten verhindert haben. Eine Mehrheit in der Ratz-Partei, der Frau Aloni vorsteht, hat das Verhalten der Ratz- Minister in dieser Sache gerügt.

Proteste gab es auch seitens der Chefredakteure der hebräischen Presse, die das von der Zensur verhängte Verbot jeglicher Veröffentlichung der Nachricht von den Deportationen sowie von Angaben über früher durchgeführte Deportationen scharf ablehnten. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums rechtfertigte die Zensur, deren Aufgabe es war, die militärische Operation abzuschirmen. Veröffentlichungen hätten die Sicherheit der Truppen gefährden können.