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■ ScheibengerichtKalyi Jag: O Suno Hungaroten

Lustig ist das Zigeunerleben und faria, faria hoh. Gerade lese ich in der Zeitung, daß vom Berliner Flughafen Schönefeld ein Charterflugzeug voller Romafamilien zurück nach Rumänien geschickt wurde; sie sollen alle fröhlich gewesen sein und gesungen haben, sagt der Grenzschützer; weil sie, scheint's, zum ersten Mal in ihrem Leben Flugzeug fliegen durften und nicht recht wußten, wohin. Sehr lustig? Manchmal allerdings ergreift den Zigeuner unvermittelt die Melancholie. Auch dann macht er Musik, aber mehr in Zigeunermoll. Furchtbar traurig.

Soviel zum Klischee. Weil es sich hier nur um ein Scheiben-Gericht handelt, möge die rein musikalische Anmerkung genügen: Das „Zigeunermoll“ zum Beispiel ist mehr oder weniger eine romantische Erfindung der Seßhaften. Und die Zigeunermusik gibt es schonmal sowieso nicht. Je nachdem, wohin es das Volk der Roma und Sinti im Verlauf der Jahrhunderte verschlagen hat, klingt ihre Musik völlig verschieden. Kalyi Jag („Schwarzes Feuer“) ist eine traditionelle Roma-Gruppe aus Ungarn und macht deshalb traditionell ungarische Folklore. Das klingt, weil die ungarische Volksmusik von den Kunstmusik-Kollegen Liszt und Kalman (csardas, paprrika, julischka, gulaschsaft und so weiter) immer wieder gern mit Zigeunermusik verwechselt worden ist, für hiesige Ohren dann freilich doch wieder original zigeunerisch. Wenn Kalyi Jag nicht gerade ein Stück in serbischem oder griechischem Stil spielt.

Aus alt macht die Truppe neu: Traditionals werden aufgepopt mit neuen Texten und teils dazukomponierter Musik. Dabei geht es auf ihrer neuesten CD „O suno“ (Der Traum) noch gepflegter zu als früher. Weniger rolled songs und wild lospreschende, wegbrechende Tänze, mehr bedächtige Balladen und Liebeslyrik. Die Poesie ist elaborierter geworden, die Arrangements sind artifizieller. Es scheint, Kalyi Jag hat sich auf den Weg gemacht zum ernsten Kunstlied – aber nach wie vor mit hinreißend akrobatischen Stimmen sowie virtuosem Löffelschlag und Mundbass.HCD 18211

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