„Alla Turka — alla Franga“ Eine multikulturelle Vision

■ Ein Bremer Musiker-Duo musiziert nach türkisch-europäischer Art

Auf den ersten Blick scheint die Musik des Bremer Duos „Alla Turka — alla Franga“ voller Gegensätze: türkische Volkslieder werden nicht mit der landestypischen Saz, sondern mit klassisch- westlicher Gitarre begleitet. Der türkische Gesang klingt außerdem weit mehr nach Kunstlied als nach traditioneller Volksmusik.Aber was heißt hier türkischer Gesang? Das Repertoire der beiden Musiker umfaßt genauso griechische, zypriotische und sephardische Gesänge.

Was wie eine multikulturelle Utopie klingt, ist für den Bremer Gitarristen Andreas Lieberg und den türkisch-zypriotischen Sänger Can Tufan schon seit über fünf Jahren musikalischer Alltag. Damals begannen sie mit gängigen Kunstliedern von Schubert und Co., zu denen sich einige türkische Volkslieder gesellten. Ein Auftritt mit diesem Programm in Istanbul stellte dann die entscheidenden Weichen: der große Erfolg des unkonventionellen Programmteils ermutigte zum Weitermachen, und der Fund eines dicken Volksliederbuches auf dem Bücherbasar in Istambul lieferte jede Menge Material dazu. Mittlerweile haben die beiden eine CD herausgebracht.

Die meisten Lieder darauf handeln von unerfüllter Liebe und Sehnsucht. Manchmal blitzt, wie in Katip, auch ein kleiner Schalk hervor, der gerne tanzen möchte. Genauso singt auch Can Tufan: leidend und lebhaft, anklagend, schmunzelnd und zärtlich, und das nicht nur auf türkisch.

In Dia y Noches, einem Lied der vor mehr als 500 Jahren aus Spanien vertriebenen sephardischen Juden, sind noch immer iberische Sprachklänge zu hören. Ein Distichon ist gleich auf griechisch und türkisch verfaßt — angesichts der verzwickten politischen Lage Zyperns schon fast ein Signal.

Das wunderschöne griechisch- zypriotische Roula Mou vermittelt eine musikalische Ahnung von den kulturellen Strömungen, die den östlichen Mittelmeerraum so reich machen. Den Abschluß bildet ein von dem Duo vertontes Gedicht von Nazim Hikmet — ein Testament aus dem Exil voller Sehnsucht nach dem Ende aller Kämpfe und einem Grab in einem türkischen Dorf.

Andreas Lieberg hat die Liedbegleitungen komponiert. Manch einem wird die enge Anbindung der Gitarre an die Melodiestimme als zu wenig kontrastierend erscheinen, aber die türkische Volksmusiktradition kennt keine Gegenstimmen — das Duo möchte die Nähe zu ihr nicht verlieren.

Die solistischen Zwischenspiele loten das musikalische Terrain aber weit aus, sie muten zum Teil sogar spanisch an; für Lieberg nur ein Beweis für die engen musikalischen Beziehungen im Mittelmeerraum.

Über den komponierten Zusammenklang hinaus ist in jedem Stück das intensive gemeinsame Musizieren zu spüren, auch wenn, gerade wenn man die Sprachen nicht versteht.

Leicht zu konsumieren ist diese Musik „Auf türkische Art — auf europäische Art“ nicht. Sie ist weder Volksmusik noch hehres Kunstwerk — und das mit voller Absicht: „Was wir machen ist Musik, die jetzt hier in Bremen entsteht“, sagt Andreas Lieberg.

Wilfried Wiemer