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Men at work

Blätter zur Berufskunde: Der Journalist auf Pressereise  ■ Von Karl Anton & Vororth

Ein Schiff kann nicht kommen. Ab Windstärke 6 darf die „Frans Suell“ der Euroway nicht mehr unter der Lübecker Herrenbrücke durchfahren, da sie mit ihren nur sechs Metern Tiefgang von einer Böe an den Pfeiler gedrückt werden könnte. Es weht in Stärke 7. Busse bringen die Journalisten und die 1.700 Passagiere, die meisten sind Schweden, die mit ihren Weihnachtseinkäufen wieder an Bord gehen wollen, nach Travemünde.

Dort liegt der nagelneue weiße Kreuzfahrer am Skandinavienkai, hat tausend Lichtlein angezündet und funkelt im Dunkeln wie ein riesiger flachgedrückter Weihnachtsbaum. An Bord haben sich schon die Kolleginnen und Kollegen versammelt. Heute ist auch Pressefahrt. Die meisten Journalisten mögen Pressefahrten. Bei Pressefahrten geben sich die Veranstalter alle Mühe, den Journalisten nette, für sie billige Tage zu bereiten. Und wünschen sich lediglich, kein Zwang, daß die Journalisten ein paar nette, für sie billige Worte über die Fahrt schreiben. So einfach ist das. Oder so schwierig.

Gleich geht es los. Die junge Frau, die die 25 Journalisten und Journalistinnen samt Freunden, Frauen, Ehegatten durch das Schiff führt, heißt Melanie Heiming. Sie trägt zum blauen Rock eine weiße Bluse mit bunten Elefanten und weiß eine Menge über das Schiff auswendig. 170 Mann und Frau Besatzung gibt es hier. 21 Knoten schnell fährt man. Zwei Kapitäne hat es, 28 und 30 Jahre jung. Die Berichterstatter, zum großen Teil jenseits der 40, trauen ihnen und beschließen, ihren Lesern diese Information keinesfalls vorzuenthalten.

Sowenig wie die 5.000 Liter Bier, die pro Überfahrt durch Kreuzfahrer-Kehlen rinnen. Dann gibt es den Sekt und eine Pressekonferenz mit Herrn Plüschke. Der ist Geschäftsführer und sagt, daß man nicht nur Geld verdienen, sondern auch das Schwedenbild verbessern und ein Stück Skandinavien in Deutschland etablieren wolle.

Im Restaurant „Royal“ wartet mittlerweile das Büffet, das heute, da es sehr weihnachtet, „Julbord“ heißt. Das Büffet müssen sich die Journalisten mit den normalen Gästen teilen. Die müssen 30 Mark bezahlen.

Das Büffet ist üppig und künstlerisch wertvoll angerichtet. Tannenzweiggirlanden und Glocken aus glänzendem roten Plastik hängen über der Marmortheke. Auf einem Teller thront ein Schweinskopf. Aus rotem Plastik und zur Zierde. Über die Teller beugen sich die Journalistenköpfe. Auch rot.

Die Journalisten essen Lachs und Krabben, Hering und Aal, Schinken und Kartoffeln. Dann essen sie Wurst und Braten. Essen auch Käse und Obst. Essen schließlich Grießbrei, Kuchen und Eis. Die normalen Leute genauso. Bis sie nicht mehr können.

In dem Augenblick schreiten wie aus dem Nichts zehn junge Mädchen in weißen Nachthemden und mit einer roten Schärpe zwischen die Tische der Journalisten. Das größte trägt auf dem Kopf einen Kranz mit fünf elektrischen Kerzen und ist die standhafte Jungfrau Lucia. Die Mädchen singen sich durch das Schatzkästlein des schwedischen Weihnachtsliedes und entschwinden dann.

So in vorweihnachtliche Stimmung versetzt, bummeln die Journalisten hinüber zur „Captain's Corner“, wo es brodelt. Peter Smith schlägt die Klampfe und läßt Scharen von Schwedinnen und Schweden in lautstarkes „Rocky Docky“ ausbrechen. Viel blondes Bürstenhaar, eine Menge Barbielocken. Und viel Freude. Kein langes Verweilen, weiter müssen sie, die Schreiber, men at work, von Glas zu Glas, von Musi zu Musi.

Im Nightclub „Stardust“ „Hot Vegas Nights“. Der da auftritt, sieht aus wie Roberto Blanco, singt aber wie Lou Rawls. Michael Eric Hall heißt er, der Journalist vermerkt es, mag sein, der Leser will es wissen.

Zwei Uhr mittlerweile, der Journalist ist müde. Ins Bett nimmt er sich vom Außendeck eine frische Brise Meeresluft mit. Unter dem milchigen Mond liegt die See schwarz wie geschmolzenes Glas. Lichter von einer nahen Küste schimmern durch die Nacht. Prima Bild, denkt er, Menge Flair. Vielleicht will der Leser auch das wissen?

Am nächsten Morgen geht die Arbeit um halb zehn los. Gudrun Tanderi vom Touristikamt Südschweden schenkt Sekt aus, südschwedischen. Dann zeigt sie einen Videofilm und Dias und berichtet, was man in Südschweden, in Skåne oder Schonen, alles anstellen kann: angeln, paddeln, golfen, baden kann man. Und vieles mehr. Somit ist Skåne, ohne alle Umstände, ein blitzsauberes Urlaubsziel.

Außerdem hat Gudrun Geschenke mitgebracht. Wodka von der großen Wodkafabrik, zum Probieren. Ein Fläschchen Sekt. Und „Spettkaka“, der ein aus Teig gezwirbelter Baumkuchen und sehr berühmt in Skåne ist. Ob dies den Leser möglicherweise näher interessiert: „Man nehme 40 Eier, Kartoffelmehl ...“ Nein? Dann nicht.

Dann rüber aufs Land, hinein nach Skåne. Hinaus nach Limhamn, wo im Jahre 2000 die Brücke nach Dänemark über den Öresund anfangen bzw. enden soll. Zurück nach Malmö, hindurch zwischen Theatern, Kunsthallen, Kaufhäusern. Kurz vorbei an den Parks mit den Enten und Gänsen, deren Population jedes Jahr vor der Weihnachtsbratenzeit einen unerklärlichen Schwund von zehn Prozent hinnehmen muß, was, da es die Journalisten erheitert, der Leserin und dem Leser nicht vorenthalten sei.

Gut, Gudrun. Malmö ist gebongt, das nehmen wir schon mal. In Ordnung, ich notiere mir das. Darf's vielleicht dann auch noch ein bißchen Lund sein? Möglicherweise, aber lassen Sie erst mal sehen!

Und so geschieht es, daß am Tag der Heiligen Lucia um Punkt 13 Uhr 50 Journalisten und Zugehörige sich im Nordflügel des romanischen Doms von Lund versammeln und andächtig zusehen, wie sich auf der astronomischen Uhr aus dem Mittelalter ein Türchen öffnet und die Heiligen Drei Könige einmal im Kreis ziehen, während die hölzernen Bläser auf ihren Trompeten zu einem getragenen „In dulci jubilo“ anheben. Man wird davon in den nächsten Wochen des öfteren lesen.

Beim Verlassen des Doms zu Lund kommen die Journalisten an einer langen grauen Fahne vorbei, auf der in silberner Schrift vermerkt ist, wer in Lund alles für den Frieden ist: Lehrer, Bibliotheksangestellte, Sozialarbeiter. Fast am Ende, fast ganz unten auch die Journalisten. Nun können sie beruhigt zum Essen gehen.

Auch die Leute im „Star Hotel“ von Malmö haben ein „Julbord“ aufgebaut. Der Schweinskopf hier ist echt, geräuchert, mit Sahnestreifen verziert – und damit gefährdet. Die Gerichte sind erlesen. Der Glasbläserhering, gut durchgezogen, hat zarten Biß, der Lachs ist von mildem Schmelz, der Rentierschinken schmeckt nach Wacholder und Rauch. Die Journalisten sind sehr froh, und mancher sinnt darüber nach, ob es ihm später wohl gelingen wird, die richtigen Worte zu finden, um dies „Julbord“ gebührend zu lobpreisen.

Dann fahren die Journalisten zum Schiff zurück. Abends werden sie noch mal essen und noch mal trinken und noch mal Musik hören und noch mal schlafen. Am nächsten Morgen werden sie wieder in Lübeck sein. Und, wie unausgesprochen abgesprochen, gleich anfangen, nach den passenden netten Worten zu suchen. Vielleicht: Ein Schiff kann nicht kommen.

Informationen: Euroway, Mühlenstraße 24, 2400 Lübeck,

Tel.: 0451/1607-220

Skånes Turistrad, Skiffervägen 38, S-22378 Lund, Tel.: 004646124350

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