piwik no script img

Das Prinzip Möllemann

■ Der Bundeswirtschaftsminister und die Briefbogenaffäre: Muß Jürgen W. Möllemann zurücktreten?

Berlin (taz) – Möllemann also. Vor ein paar Tagen, in der Redaktionskonferenz, fragte eine Kollegin aus der Kultur, ob der denn nicht jetzt vielleicht doch zurücktreten... Höhnisches Gelächter aus der Politik-Redaktion. Der? Nie! Möllemann, Jürgen W. (W. für weitgereist), so wurde die Kollegin nachsichtig beschieden, sei habituell rücktrittsunfähig.

Möllemanns Verdienste um die deutsche politische Kultur und um seine eigenen Pfründe lassen einen Rücktritt einfach nicht zu. Was täten wir ohne diesen Karrieristen par excellence? Was bliebe uns ohne diesen mediengeilen Lobbyisten? Wer, außer Möllemann, füllt uns in Zeiten der Not die „Was fehlt“-Rubrik?

Möllemann hat im Lauf seiner Karriere eine derartige Menge an durchsichtigen und undurchsichtigen Geschäften, Ankündigungen und Presseerklärungen gemacht, daß ein Minister-Brief, in dem er die Einkaufswagen-Chips seines Vetters zum Kauf empfiehlt, geradezu läppisch wirkt. Seine Entschuldigung: unnachahmlich Möllemann. Ein untergeordneter Mitarbeiter war's, der ohne sein Wissen den Brief abgeschickt habe. Blanko-Briefbögen liegen halt mal so im Ministerium herum. 1983 warb Möllemann für „Germania Edel Pils“. 1992 für Einkaufswagen. Na und?

Eine Kulturgeschichte Jürgen W. Möllemanns könnte mit den historischen Worten Erich Honeckers eingeleitet werden: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“. Honecker ist mit diesem Bestreben bekanntlich gescheitert – bei Möllemann ist dies unvorstellbar. Nach oben drängte es den Münsteraner Volksschullehrer schon in jungen Jahren. Und ein Freund des freien Unternehmertums ist er auch schon immer gewesen. 1980 war's, Möllemann saß im Alter von 35 Jahren seit acht Jahren im Deutschen Bundestag, da diente er sich verschiedenen Waffenfirmen als ihr Interessenvertreter an. Seine Mühen um die deutsche Wirtschaft gipfelten 1983 in einem Runderlaß des zum Staatsminister im Auswärtigen Amt aufgestiegenen Jürgen W.: Deutschlands Diplomaten hätten sich fortan bereitwilliger als bisher um die „außenwirtschaftlichen Interessen deutscher Unternehmen“ zu kümmern.

Als Chef der Deutsch-Arabischen Gesellschaft und Staatsminister in Personalunion mühte er sich um die Legalisierung des Verkaufs von deutschen „Leopard“-Panzern an Saudi-Arabien. Möllemann: „Leo muß man auf arabisch von rechts nach links lesen – Oel!“ Waffenexport sei ein „Element der Friedensförderung“, befand er. „Was der deutschen Wirtschaft frommt, auch Herrn Möllemann bekommt“, raunte es darob in den Fluren des AA.

Der Flurfunk konnte Möllemann egal sein, er hatte seine Presse. Wohl kaum einer der Bonner Raumschiffroboter hat es im Umgang mit den Medien zu einer derartigen Dauerpräsenz gebracht. Unvergessen die Zeiten, als er fast täglich morgens um kurz nach sechs zum Hörer griff, um den Agenturen einen Möllemann zu verkaufen. Möllemann äußert sich prinzipiell zu allem und jedem, egal ob atomwaffenfreie Zonen, Franz Josef Strauß oder Aufschwung Ost. Möllemann wird Abgeordneter, Staatsminister im AA, Bildungsminister, seit 1991 Wirtschaftsminister. Möllemann fordert neue Atomkraftwerke in Ostdeutschland, Subventionsabbau, niedrige Ost-Löhne. Möllemann weiß alles, kann alles. Darf er auch alles?

Ein Rücktritt von ihm erscheint schon deshalb ausgeschlossen, weil er nicht mal dann abgetreten ist, als er es selbst angekündigt hatte. Erst im letzten Jahr war's, da drohte Jürgen W. damit, sein Amt im Stich zu lassen, wenn beim Subventionsabbau nicht mindestens zehn Milliarden Mark zusammen kommen sollten. Sie kamen selbstverständlich nicht zusammen. Möllemann blieb selbstverständlich Wirtschaftsminister.

Aber jetzt: Hildegard Hamm- Brücher (FDP) fordert seinen Rücktritt. Johannes Nitsch von der Union verweist auf den „politischen Anstand: Wenn Herr Möllemann nicht schleunigst eine bessere Erklärung zu bieten hat, muß er seinen Hut nehmen.“ Peter Struck (SPD) empfiehlt gleiches. Selbst die Junge Union schießt sich auf ihn ein. Nur 8,8 Prozent aller Deutschen würden von Möllemann einen Gebrauchtwagen kaufen, enthüllte eine Umfrage. Muß Möllemann zurücktreten, wird er Gebrauchtwagenhändler?

Möllemann wird bleiben. Vielleicht muß er seine Hoffnung auf den FDP-Vorsitz begraben. Sollte es ganz dicke kommen, werden ihn die drei Tage Weihnachtspause, an denen höchstens Möllemann selbst noch Presseerklärungen verschickt, retten. Klaus Hillenbrand

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen