„Welche Hälfte hätten Sie denn gern?“

Scheidungs-„Mediation“ kann das übliche Sorgerechts-Gezerre an den Kindern verhindern/ Mit Hilfe ihres Mediatoren erarbeiten Eltern selbstbestimmte Scheidungsvereinbarungen  ■ Von Detlef Berentzen

Berlin. Das Mädchen kommt heulend aus dem Gerichtssaal. Neben ihm seine Mutter – mit hektisch roten Flecken im Gesicht. In einigem Abstand folgt ein versteinerter Vater. Kein Wort ist zu hören, nur das Schluchzen des Kindes. Unerträgliche Spannung liegt in der Luft. Soeben wurde ein Urteil gefällt. In einem Scheidungsgerichtsverfahren. Ort des Dramas: Ein beliebiges Familiengericht.

Die beschriebene Szene ist beispielhaft für die Hilflosigkeit und das Leiden, überhaupt für all den emotionalen Streß, der mit Trennung und Scheidung einhergeht. Scheidungen sind fundamentale Krisen, kleine Tode oft, auch wenn sie auf der anderen Seite eine befreiende Wirkung haben. Jetzt heißt es Abschied nehmen von alten Illusionen und Erwartungen. Und es heißt umgehen mit all der Wut und all der Enttäuschung, die sich im Trennungsvorgang entladen. Dabei ist eines sicher: alle Beteiligten geraten aus dem bislang ohnehin labilen Gleichgewicht – die Ehegatten und vor allen Dingen... die Kinder. Sie haben kaum jemanden, der ihnen in dieser Phase beisteht. Vater und Mutter sind zu sehr mit sich beschäftigt. Und oft genug werden die Kinder zu Objekten der Auseinandersetzung. Wie kann man nun eine Scheidung mit einigermaßen „aufrechtem Gang“ hinter sich bringen? Vor allen Dingen ohne das übliche Gezerre an den Kindern, ohne jene Intensität von Wut und Haß, die jeden reifen Lösungsversuch zu ersticken droht? Wie wäre zu verhindern, daß es letztendlich staatliche Bevormundung ist, die eine Regelung für Kinder und Eltern in Kraft setzt? Es gibt eine Antwort auf diese Fragen:

Seit einiger Zeit ist in Berlin ein Begriff in der Diskussion, der in vielen Staaten Nordamerikas schon lange für eine weitgehend selbstbestimmte Auflösung der Ehe steht: „divorce-mediation“, zu deutsch: „Scheidungsvermittlung“. Diese Hilfe zur selbständigen Lösung aller Fragen im Scheidungsfall wird in den USA von Gerichten, sozialen Diensten, in sogenannten „mediation-centers“, aber auch von privat praktizierenden Mediatoren angeboten. Ein erfolgreicher Abschluß der Mediation kann den nach wie vor notwendigen Richterspruch auf die bloße Zustimmung zur autonom entwickelten „Vereinbarung“ des Paares reduzieren.

Eine bekannte Vertreterin des Mediation-Konzeptes ist Florence W.Kaslow, Therapeutin und Mediatorin in West Palm Beach/Florida. Seit 1989 ist sie immer wieder in Berlin, um mit Angehörigen sozialer Berufe, Therapeuten, Richtern und Rechtsanwälten Workshops zum Thema „Scheidungs-Mediation“ durchzuführen. Ein Hauptaugenmerk legt Kaslow auf die Kinder. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes „Opfer“ der Scheidung. Kaslow betont, daß Mediation die Opferung der Kinder verhindern kann, ihr ohnehin schweres Los lindern hilft.

Immerhin ist das Ergebnis des Mediationsprozesses eine (auch im Sinne der Kinder) dynamische vertragliche Regelung, bei der keiner der Vertragspartner (Eltern und Kinder) Verlierer ist und jeder etwas bekommt. Dieser Vertrag schließt all die Punkte ein, die vor der endgültigen Trennung einer ernsthaften Klärung bedürfen: die elterliche Sorge, das Besuchsrecht, die Unterhaltszahlungen, den Ehegattenunterhalt und die Verteilung des bislang gemeinsamen Eigentums.

All diese Punkte werfen Fragen auf, die durch Vermittlung eines Dritten wesentlich „vernünftiger“ geklärt werden können, als das im üblichen Clinch der Trennungsphase möglich wäre. Der Mediator ist dieser Dritte. Dabei ist sein Selbstverständnis nicht das eines Therapeuten, obwohl er durchaus therapeutische Ausbildung und Berufserfahrung haben mag. Genausogut aber übernehmen in den USA auch Sozialarbeiter oder Rechtsanwälte und pensionierte Richter die Rolle von Mediatoren. Allerdings erst, nachdem sie ein Basistraining von 40 Stunden hinter sich gebracht und 15 Mediationsstunden unter Supervision gearbeitet haben.

Nach Absolvierung dieses Trainings können die Mediatoren in eigener Verantwortung Klienten zur ersten „Orientierungsstunde“ einladen und ihre Eingangsfrage stellen: Welche Fragen der Trennungsregelung sind eigentlich strittig? Erst nach Klärung dieser Frage werden sich die erwachsenen Klienten, wenn nötig auch die Kinder, am sogenannten „Runden Tisch“ zusammenfinden, um mit Hilfe eines Mediators in die Verhandlungen einzusteigen. Allerdings nicht, um „Schuldfragen“ zu beantworten. Schuld hat im Mediationsprozeß nichts zu suchen. Da es hier um keinen Urteilsspruch geht, sondern um selbst erarbeitete Lösungen, kann der Mediator Schuldzuweisungen nicht akzeptieren. Ohnehin gibt es genügend andere Blockaden und Hindernisse, die der Mediator qua Intervention aus dem Weg zu räumen hat: Wenn es beispielsweise während der Mediaton um die elterliche Sorge oder das Besuchsrecht geht und die Eltern versuchen, im Hinblick auf das Kind die obligatorische „Eigentumsfrage“ zu stellen, kann der Mediator zu einem wichtigen Instrument greifen: der Wandtafel. Mit ein paar Strichen entwirft er auf ihr den Umriß des Kindes und stellt die entscheidende Frage: „Welche Hälfte hätten Sie denn gerne?“ ...womit die Erläuterung der Tatsache beginnen kann, daß das Kind durchaus ein Ganzes ist und als solches ein ernstzunehmendes Individuum, dessen Bedürfnisse es zu respektieren gilt.

Am Runden Tisch kommen auch die entwicklungsspezifischen Bedürfnisse des Kindes zur Sprache. Kaslow betont immer wieder, daß es ein großer Unterschied ist, ob ein dreijähriges Kind oder ein adoleszenter Sohn überwiegend bei Mutter oder Vater leben soll. Während der jugendliche Sohn sicherlich eine möglichst intensive Auseinandersetzung mit dem Vater braucht, braucht das kleine Kind mehr den Kontakt und die Nähe zur Mutter, den Vater hingegen erst in zweiter Linie.

Was Mediation hier nun zu erreichen sucht, sind altersgerechte Sorgepläne. Pläne also, die nicht starr auf Jahre, Jahrzehnte hinaus gelten, sondern den jeweiligen Bedürfnissen des Kindes angepaßt sind – Alter, Geschlecht und emotionale Integration sind dabei Faktoren, die nicht vernachlässigt werden dürfen. Überhaupt soll die Mediation im Hinblick auf die Kinder alles sehr genau bestimmen, um späteres Streitpotential gleich im Vorfeld aus dem Weg zu schaffen: indem sie die Frage klärt, wann denn ein Wochenende genau beginnt, wer das Kind zum Ballettunterricht bringt und bei wem es welche Schulferien verbringt, oder auch: wie lange es genau bei einem Elternteil bleiben soll.

All die Fragen des Kindeswohls zu beantworten und gleichzeitig auch das Problem von Unterhalt und Eigentum im Vorfeld der Gerichte selbstbestimmt zu klären, das ist Aufgabe der Scheidungs- Mediation. Auch jener, die in Berlin angeboten wird, wenn auch nicht streng nach Kaslow. Die vom „Institut für integrative Paar- und Familientherapie“ in Kooperation mit der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft „Zusammenwirken im Familienkonflikt“ organisierten Workshops mit Kaslow hatten die Wirkung einer Initialzündung: Psychologe Gerhard Hennig von „Zusammenwirken im Familienkonflikt“ berichtet, daß Scheidungs-Mediation mittlerweile „fester Bestandteil des Beratungsangebots“ seiner Arbeitsgemeinschaft aus Rechtsanwälten und Therapeuten ist.

20 Prozent der Ratsuchenden nehmen dieses Angebot bereits in Anspruch. Hennig bestätigt sogar, daß die erarbeiteten Scheidungsvereinbarungen bei den Gerichten akzeptiert sind: „Das ist gar keine Frage.“

Nachdem im Herbst eine weitere Scheidungs-Mediation stattfand, wird sich das Angebot in Berlin noch vergrößern. Und wenn sich dann noch der Trend fortsetzt, den Bettina Decker von der Arbeitsgemeinschaft registriert, dann besteht Hoffnung auf eine Entschärfung des Trennungskonflikts, der bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen so tiefe Spuren und Verletzungen hinterläßt: „Immer mehr Menschen fragen nach Scheidungs-Mediation. Es scheint, die Leute beginnen zu begreifen.“

„Zusammenwirken im Familienkonflikt“, Wilhelmsaue 133, Wilmersdorf (8610195)