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Umweltengel bringt den Tod...

... für Mikroorganismen: Lösungsmittelfreie Farben können die biologische Stufe in modernen Wasser-Kläranlagen außer Kraft setzen  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Die als umweltfreundlich gepriesenen lösungsmittelfreien Malerfarben drohen zu einem ernsten Problem für Kläranlagen zu werden. Dies dann, wenn die Pinsel im Waschbecken ausgewaschen oder gar Reste der angeblich ungefährlichen Farben in den Ausguß geschüttet werden. Die Konservierungsmittel, mit denen diese Farben versetzt sind, können vor allem moderne Kläranlagen außer Funktion setzen, indem sie die in der biologischen Klärstufe vorhandenen Mikroorganismen vernichten.

Die meisten der den gängigen lösungsmittelfreien Farben zugesetzten Konservierungsmittel sind nach Untersuchungen der schwedischen Naturschutzbehörde so umweltschädlich, daß sie, in den Abfluß gelangt, 38millionenfach verdünnt werden müßten, um für die Mikroorganismen der Kläranlagen ungefährlich zu sein. Ein Beispiel: Wäscht man einen Pinsel im Waschbecken aus, müßte man eine Woche lang mit Wasser nachspülen lassen, um eine unschädliche Verdünnung zu erreichen.

Der Verzicht auf lösungsmittelfreie Farben, die in Deutschland mit dem Umweltengel ausgezeichnet wurden, war vor allem im Malergewerbe als großer Fortschritt begrüßt worden; wurden damit doch die schweren Gehirnschädigungen vermieden, die jahrelange Arbeit in Lösungsmitteldämpfen sonst häufig mit sich brachten. Das sieht man auch bei der schwedischen Naturschutzbehörde so. „Wir wollen auf keinen Fall zu den Lösungsmitteln zurück“, betont Abteilungsleiter Lars Asplund. „Doch der Ersatz hat offenbar neue schwere Umweltprobleme mit sich gebracht.“ Fünf Jahre nachdem in Schweden lösungsmittelhaltige Farben in der Malerbranche grundsätzlich nicht mehr benutzt werden, gibt es nach einer Auskunft des Berufsverbandes des Malerhandwerks wachsende Unruhe über Gesundheitsschäden durch lösungsmittelfreie Farben. Eine Umfrage unter 700 MalerInnen hat ergeben, daß viele über Allergien klagen, die sie vorher nicht hatten.

Während die Lösungsmittel über die Atmungsorgane in den Körper gelangen, geschieht dies bei den Konservierungsmitteln vorwiegend über Hautkontakt. Annelie Kalrgren vom Malerverband: „Hinter die angebliche Ungefährlichkeit muß man wohl ein großes Fragezeichen setzen.“ Aufgabe der Konservierungsmittel in den Farben ist, Pilze und Bakterien abzutöten. Die schwedische Naturschutzbehörde hat einige der Mittel in Verdacht, auch auf die Erbmasse und die Fruchtbarkeit einzuwirken sowie krebserregend zu sein. Unklar ist aber noch, von welchem Konzentrationsgrad an mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gerechnet werden muß.

In Schweden sollen jetzt ebenso wie in Dänemark genauere Studien über die Wirkungsweise von Konservierungsstoffen und etwa hundert anderen Chemikalien auf die Mikroorganismen in den Kläranlagen angefertigt werden. Und es geht nicht nur darum zu verhindern, daß eine Kläranlage umkippt. „Über die Bodenschlämme und den Abfluß in die Gewässer kommen die Chemikalien auf Äcker und ins Meer. Dort wird sich“, sagt Stellan Fischer von der schwedischen Chemikalieninspektion, „ein Schaden vielleicht erst in zwanzig oder dreißig Jahren zeigen. Dann, wenn es wieder mal viel zu spät ist.“

Das von Umweltgesichtspunkten her sinnvollste wäre, ganz auf fabrikmäßig hergestellte Fertigfarben zu verzichten, da diese immer Konservierungsmittel enthalten: Farben kann man sich genausogut vor dem Gebrauch selber mischen oder in Läden, die die entsprechenden Farbbestandteile führen, zubereiten lassen.

„Da die meisten hierzu wohl zu bequem sind, wäre aktuell in erster Linie wichtig“, so Tonny Christiansen von der Abwässerabteilung der Umweltschutzbehörde, in der Bevölkerung den Glauben an die angebliche Ungefährlichkeit und Harmlosigkeit lösungsmittelfreier Farben zu zerstören: „Diese haben absolut nichts im Abflußbecken verloren.“

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