Den Grünen im Saarland droht GRAS

■ Tiefer Riß im Landesverband/ Streit über „neoliberale“ Wirtschaftspolitik

Saarbrücken (taz) – Der Einzug in den Landtag ist den saarländischen Grünen bislang mit nicht einmal drei Prozent der Stimmen versagt worden. Doch ihre Pläne sind groß. Falls sie beim nächsten Mal nicht nur ins Parlament, sondern sogar den Sprung in die Regierung schaffen, dann soll die umstrittene Autobahn nach Luxemburg dreispurig verlängert und der von Umweltschützern heftig bekämpfte Flughafen Saarbrücken auf jeden Fall erhalten bleiben. Eine wirtschaftspolitische Resolution des Vorstands sieht außerdem vor: „Die Grünen an der Saar halten eine Diskussion über ein geringes Lohnwachstum aus ansiedlungspolitischen Gründen für sinnvoll. Die Tarifpartner an der Saar könnten zum Beispiel geringere Lohnsteigerungen aushandeln als im Bundesdurchschnitt.“ Der Landeshauptausschuß der Partei hat das Papier bereits mit großer Mehrheit verabschiedet.

Doch die breite Zustimmung täuscht über den tiefen Riß hinweg, der die Saar-Grünen nicht erst seit dem ökonomischen Kurswechsel durchzieht. Das nach Ansicht von Kritikern „neoliberale Wirtschaftspapier“ hat die Wut, die weite Teile der Partei auf den amtierenden Vorstand hegen, zum Überschäumen gebracht: die Grünen und Alternativen in den Räten (GRAS) wollen im Januar über die Gründung eines konkurrierenden Landesverbandes entscheiden. Kürzlich ist der Saarbrücker Kreisvorstandssprecher Martin Rolshausen zurückgetreten. Außerdem haben die Umweltverbände den Grünen offiziell die Zusammenarbeit aufgekündigt. Pressesprecher Michael Mension versteht die Aufregung nicht: „Wir müssen doch wirtschaftspolitisch von der Nein-Sager-Mentalität wegkommen.“ GRAS-Sprecher Joachim Selzer kontert: „Hier werden grüne Grundpositionen aufgegeben, um sich anzubiedern.“ Selzer, ein Bruder des derzeitigen Bundesschatzmeisters, ärgert besonders, „auf einmal als Fundi hingestellt zu werden“.

Schon seit fast zwei Jahren scheiden sich am alleinigen Landesvorstandssprecher Hubert Ulrich die grünen Geister: Kritiker werfen ihm einen „diktatorischen Führungsstil“ vor. Co-Sprecherin Christa Jenal hat bereits im Sommer vergangenen Jahres entnervt das Handtuch geworfen. Eine Nachfolgerin hat sich bislang noch nicht gefunden. Drei der sechs Kreisverbände stehen offen in Opposition zum Landesvorstand; unter den Mitgliedern des Kreises Neunkirchen läuft bereits eine Umfrage über einen geschlossenen Austritt. Der Kreisverband Merzig hat sogar ein Parteiordnungsverfahren gegen Ulrich angestrengt. Außerdem führen die Merziger seit Oktober keine Mitgliedsbeiträge mehr an die Landesgrünen ab. Das Geld geht auf ein Sperrkonto des Bundesverbandes. Dieser läßt derzeit die Lage von zwei Rechtsanwälten untersuchen. Im Januar soll ein Bericht vorliegen.

Heftig umstritten ist vor allem die Art und Weise, wie Vorstandssprecher Ulrich seine Anhänger rekrutiert. Immerhin kommen 400 der 700 saarländischen Grünen aus Ulrichs Kreisverband Saarlouis – viele vom Vorstandssprecher persönlich geworben. Der Hubert, so Pressesprecher Mansion, sei wirklich „rührend in der Mitgliederwerbung“.

Doch seine Kritiker halten ihm teilweise satzungswidrige Methoden vor. So hat der Kreisverband Merzig erleben müssen, daß an ihm vorbei auf Initiative des Landesvorstandes ein Ortsverein in Beckingen entstand. Dieser drohte dem Merziger Vorstand mit Abwahl. Doch der stellte fest, daß die „Hälfte der Beckinger Mitglieder eigentlich aus dem benachbarten Kreis Saarlouis kommt“. Ob tatsächlich mit fliegenden Ortsvereinen operiert wird, soll nun geklärt werden. Der Landesvorstand fühlt sich zu Unrecht kritisiert – immerhin gehe die Mitgliederentwicklung nach oben. Die Versammlungen seien im Gegensatz zu früher gut besucht. Und die jüngste Infas- Umfrage sieht die Grünen, wenn auch knapp, erstmals in ihrer Geschichte im Landtag.

Doch mit dem kantigen Ulrich an der Spitze läßt sich, so scheint es, der drohende Bruch der Grünen nicht mehr abwenden. Dazu, meint Joachim Selzer, „sitzt der Karren zu tief im Dreck“.

Doch um gefrustete grüne Promis dürfte sich wie in der jüngeren saarländischen Geschichte auch diesmal die herrschende SPD kümmern: Ex-Vorstandssprecherin Brigitte Berthold arbeitet in der Staatskanzlei und ist SPD-Delegierte, Ex-Vorstandssprecher Michael Burkert ist Beigeordneter im SPD-dominierten Stadtverband Saarbrücken und die ehemalige Bundestagsabgeordnete Erika Trenz wurde kürzlich, allerdings ohne Abschwur von den Grünen, Flüchtlingsreferentin im SPD-Sozialministerium. Frank Thewes