■ Italiens Geheimdienst-Skandal – vor allem ein Lehrstück in Sachen „Kronzeugen“-Kultur
: Hochzeit der Verschwörungs-Fans

Herrliche Zeiten für Verschwörungs-Fans und alle, die es schon immer wußten: in Italien, endlich, endlich, ist ein Geheimdienst-Superagent (Bruno Contrada) unter Mafia-Verdacht verhaftet worden. Nun sind Kungeleien zwischen Geheimdienstlern und Ganoven nicht gerade eine Sensation, und daß die eine Seite die andere instrumentalisiert, scheint zu naheliegend, als sich darob zu entsetzen. So ist denn auch das, was in Italien derzeit abläuft, weder der große Beweis für die Verwicklung von Agenten in Mafia-Delikte noch eine Bestätigung der mafiosen Durchdringung der Institutionen. Nein, es ist eher ein Lehrstück in Sachen „Kronzeugen“-Kultur.

Ohne Aussteiger, die man mit Strafnachlaß lockt oder denen man durch Verhaftung ihrer Gegner die Befriedigung persönlicher Rache gönnt, wäre bis heute kaum ein Eindringen in Mafia-Gruppen möglich. Doch angesichts der nun schon über 200, sich oft widersprechenden Aussteiger geraten nach spektakulären „Enthüllungen“ eher die Anhänger verschiedener Ermittlungsphilosophien aneinander, als daß wahre Aufklärung erfolgt. So lassen sich trotz der Anschuldigungen von nicht weniger als vier „Kronzeugen“ mindestens fünf verschiedene Deutungen des aktuellen Skandals denken: Es kann alles stimmen, der Agent also mafios verbandelt sein; es kann, zweitens, ein gezielter Racheakt der vier (allesamt durch ihn verhaftet) gegen ihn sein. Drittens könnte die Mafia, tatsächlich in Schwierigkeiten wegen der zahlreichen Aussteiger, eine Aktion gegen einen Spitzenagenten organisiert haben, um andere Agenten zu „warnen“. Viertens kann der Geheimdienst selbst das Manöver in Szene gesetzt haben: man läßt einen Agenten anschuldigen, beweist dann glanzvoll dessen Unschuld und „immunisiert“ sich so gegen Gerüchte.

Eine Institution ist in jedem Falle zufrieden: die Regierung. Da keiner der aktuellen Minister Verantwortung für die Vergangenheit des Agenten Contrada trägt, kann man „Sauberkeit“ beweisen und während der allgemeinen Ablenkung auch noch manches über die Bühne bringen. So hat das Kabinett gerade völlig unbemerkt die Staatsaufträge freigegeben, die während des laufenden gigantischen Korruptionsskandals eingefroren worden waren. Und das ist, hinter der Hand, die fünfte mögliche Interpretation für die spektakulären Enthüllungen der „Kronzeugen“. Es wäre nicht der erste Fall dieser Art. Werner Raith, Rom