piwik no script img

„Zwei Flaschen estnischer Alkohol“

Die taz im Visier der Staatssicherheit/ Teil 4: Bei Reisen im Ostblock mußte das MfS den Bruderorganen Bericht erstatten/ Die Stasi-Quelle auch in westdeutschen Sicherheitsbehörden  ■ Von Wolfgang Gast

Im Blickfeld der Stasi waren nicht nur die taz-Mitarbeiter in der Berliner Zentrale oder den Lokal- Redaktionen. Es waren auch nicht nur die Reisen der taz-Redakteure nach Ost-Berlin oder in die DDR, die von den Offizieren des MfS argwöhnisch beobachtet wurden. Ins Visier des Geheimdienstes gerieten insbesondere die Journalisten, die von den DDR-Stellen als „feindlich“ ausgemacht worden waren, die Einreiseverbot in die DDR hatten und dennoch im sozialistischen Ausland unterwegs waren. In diesen Fällen wurde es auch für das MfS komplizierter: Die „Bruderorgane“ mußten verständigt und auf dem laufenden gehalten werden. Etwa dann, wenn einer der Redakteure über den Ostberliner Flughafen Schönefeld reiste.

Zwischen Januar 1988 und März 1989 reiste so der Osteuropa- Redakteur Erich Rathfelder sechsmal über den Flughafen im Süden Berlins. Jedesmal wurde die Abfertigung minutiös erfaßt. Unterleutnant Langner berichtete in „Realisierung eines Kontrollersuchens“:

„Am 15.3.1989, gegen 10.15 Uhr reiste der Westberliner RATHFELDER, Erich vom Flughafen Schönefeld nach Moskau. Er erschien mit einer Umhängetasche zur Zollkontrolle, die Hintergrundinformationen über die Sowjetunion, die vom Sender Freies Europa veröffentlicht wurden, ein Diktiergerät und ca. 10 Kassetten enthielt.“

Der Mann an der Sperre muß ein gutes Gedächtnis und ein noch besseres Kopiergerät zur Verfügung gehabt haben. Reisepaß und Flugticket wurden bei der Abfertigung abgelichtet. Weiter hielt Langner fest:

„Als er aufgefordert wurde, sich zur Flugsicherheitskontrolle in die Kabine zu begeben, sagte er: 'Das habe ich gleich gewußt, daß hier noch etwas passiert – umsonst mußte ich nicht 10 Minuten am Paßschalter warten. Ich betrachte dieses als Behinderung journalistischer Arbeit‘“. Weiter notierte Langner: „Nach der Sicherheitskontrolle, die er nur widerwillig über sich ergehen ließ, begab er sich, leise vor sich hin schimpfend, in den Transitraum.“

Der tieferliegende Sinn der vielfältigen Schikanen an den Abfertigungsschaltern in Schönefeld ergibt sich aus einer Ergänzung, die Langner seinem Bericht anfügte: „Die operativ interessanten Feststellungen wurdem dem Bruderorgan am Moskauer Flughafen fernschriftlich vorgemeldet und im Lagefilm Bruderorgan unter der Pos. 159 registriert.“

Der Vorgang wiederholte sich, als Rathfelder am 26.3., aus Moskau kommend, wieder in Schönefeld landete. Akribisch hielten die Grenzwächter diesmal fest:

„Seine Tasche enthielt neben Kleidung zwei Kuverts, in denen Materialien seiner journalistischen Tätigkeit enthalten waren:

– Fotos von Demonstrationen in Estland

– handschriftliche Aufzeichnungen

– Handbuch der SU, Osteuropa- Institut 1988

– Jahrbuch der SU, Presseagentus Nowosti

Rathfelder hielt sich in den baltischen Sowjetrepubliken auf. Er führte 235 DM mit und kaufte dort zwei Flaschen estnischen Alkohol.“

Bei all der Akribie verwundert es nicht weiter, daß auch vermerkt wurde, der taz-Redakteur sei mit dem Bus nach Westberlin weitergereist.

Bei anderen Gelegenheiten wurden auch sämtliche Unterlagen, die Reisende mit sich führten, auf Mikrofilm gebannt. Der Sammelwut fiel auch Hausgemachtes zum Opfer, beispielsweise der Wortlaut der Ansprache Michail Gorbatschows, die er am 10.4.1987 auf einer Freundschaftskundgebung in Prag gehalten hatte. Die verfilmten Unterlagen sind Bestandteil der Unterlagen der Hauptabteilung XXII, die als „Sammelakte“ über die taz angelegt wurden.

Als „beste Methode“ hatte Stasi-Major Müller Mitte Januar 1987 die Parole „Reisesperrmaßnahmen gegen verfestigte Feinde der DDR“ ausgegeben. Immer seltener durften daraufhin Mitarbeiter der taz in die DDR einreisen. Anträge wurden zurückgewiesen oder die Einreise an der Grenzübergangsstelle ohne Angabe von Gründen verweigert. Eine Systematik ist anhand der Akten nicht zu erkennen. Einigen Mitarbeitern war die Einreise seit Jahren untersagt worden, wie dem Politik-Redakteur Max-Thomas Mehr. Eine Stasi-interne Kurzauskunft weist als Datum für die „Reisesperre“ den 13. Juni 1979 aus.

Osteuropa-Redakteur Erich Rathfelder traf das Einreiseverbot im Juni 1987. In die übrigen sozialistischen Staaten durfte er zwar noch reisen, der andere deutsche Staat aber „realisierte eine Sperre zu Rathfelder“, wie der Leiter der Hauptabteilung XX/2 den Genossen von der Terrorabwehr in der Hauptabteilung XXII mitteilte. In den Unterlagen findet sich auch ein handschriftlicher Vermerk, wonach der Genosse Schöppe aus der Leitung der Hauptabteilung XX, die für die „Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit“ in der DDR zuständig war, den Kollegen von der Terrorabwehr am 19.10.1987 versprach, sie zu informieren, wenn er „Hinweise zum Umfeld des R. in Westberlin hat“.

Die Erkenntnisse über Rathfelder stützen sich auch auf die Berichte des IM „Maximilian“, des späteren Mitbegründers der DDR- SPD, Ibrahim Böhme. Anläßlich eines Treffens des Redakteurs mit dem oppositionellen Schriftsteller Lutz Rathenow am 10. Juni 1986 notierte der Führungsoffizier nach den Abgaben des IM „Maximilian“:

„Gegen 16.30 Uhr begab sich die Quelle und Rathfelder im PKW zu Rathenow [...] Über Umwege und dem Verdacht des Rathfelder, einer Beobachtung des MfS ausgesetzt zu sein, fuhr Rathfelder auf den Parkplatz vor dem Berliner Bremsenwerk (nahe Bhf. Ostkreuz) und lief mit der Quelle zu Fuß zu Rathenows Wohnung. Unterwegs kehrten sie in eine Kneipe ein, und jeder trank 4 Bier und 4 Korn. Rathfelder beglich die Rechnung großzügig mit 22 Pfennig Trinkgeld. In der Kneipe sicherte Rathfelder eine Unterstützung der Quelle zu (keine Arbeit, kein Geld), stellte Veröffentlichungen in Aussicht und erzählte überschwenglich aus seinem persönlichen Leben und politischen Entwicklung.“

Drei Tage später wurde das Einreiseverbot „realisiert“.

Die Stasi nutzte vielfältige Quellen, wenn es galt, das Treiben ihrer Feinde aufzudecken. Selbst „feindliche“ Einrichtungen wurden dafür herangezogen, wie etwa das Frankfurter Polizeipräsidium im April 1983. Wieder einmal wurde „streng vertraulich“ berichtet,

„Im Rahmen der operativen Arbeit gelangten Hinweise zu Aktivitäten des Polizeipräsidiums, K 42 (Staatsschutz) zur Kenntnis, die im Zusammenhang mit einem für den 09.04.1983 in Frankfurt/M. geplanten Vorbereitungstreffen zur Gründung eines 'Tribunals gegen Ausländerfeindlichkeit‘ stehen. Den Termin für dieses Treffen hatte der Gegner einem am 29.03.1983 in der linksextremen 'Tageszeitung‘ veröffentlichten Artikel entnommen.“

Der „gegnerischen“ Dienststelle konnten die Spione der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) auch weiter entnehmen,

„am 5.4. stellte das Polizeipräsidium Frankfurt/M. bei allen zentralen Staatsschutzstellen der BRD und dem Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Informationsbedarf zu dem Tribunal. Durch das PP Frankfurt/M. im inzwischen vorgesehenen Tagungslokal, dem Frankfurter 'Haus der Jugend‘, durchgeführte Untersuchungen haben ergeben, daß dort am 9.4.1983 lediglich Räumlichkeiten für Gruppen bis zu 15 Personen zur Verfügung stehen würden. Es konnte nicht festgestellt werden, ob Anmietungen erfolgt sind, die im Zusammenhang mit dem Vorbereitungstreffen zur Gründung des 'Tribunals gegen Ausländerfeindlichkeit‘ gesehen werden müssen.“

Die Stasi kannte die Sicherheitsbehörden der Altbundesrepublik offenbar recht gut. Ende März des gleichen Jahres notierte der Auslandsspionagedienst der DDR, daß auch die Staatsschutzabteilung der Göttinger Kriminalpolizei gegen einen taz-Mitarbeiter ermittelte. „Durch zuverlässige Verbindung gelangte zur Kenntnis“, hielt die HVA streng vertraulich fest:

„die Recherchen stehen im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren, das durch die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Celle wegen Verdachts einer Straftat gemäß § 129a des STGB der BRD (kriminelle Vereinigung) eingeleitet worden war. In die Recherchen war Mitte März 1983 das Bundeskriminalamt Meckenheim, Abteilung Staatsschutz, Referat ST 31 (Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates – Links) eingeschaltet worden.

Der Verdächtigte war nach Stasi-Erkenntnissen ein leitender Redakteur der taz:

„Im Jahre 1982 war er mehrmals wegen Veröffentlichung von Artikeln in der TAZ vom Gegner bearbeitet worden, die nach dem BRD- Strafgesetzbuch von 'strafrechtlicher Relevanz‘ waren.“

Die unfreiwillige Kooperation der Staatsschützer mit der Staatssicherheit wird durch die Stasi-Unterlagen der taz dokumentiert. Zugänglich sind bisher nur die Unterlagen des östlichen Geheimdienstes. Diese sind leider nur noch bruchstückhaft vorhanden. Besonders die Akten der HVA und die der Hauptabteilung XXII sind unmittelbar nach der Wende vernichtet worden. Die wenigen noch über über die taz aufgefundenen Unterlagen stellen aber dennoch einen Ausriß dar, mit welch immensem Aufwand die Stasi versuchte, die Aktivitäten der von ihr zu „Feinden“ erklärten Personen und Organisationen lückenlos aufzuklären, zu dokumentieren und notfalls auch zu hintertreiben. Es sind aber auch Dokumente, die den Realitätsverlust der Geheimdienstler beschreiben. Statt sich mit der Kritik zu beschäftigen, die die von ihr Überwachten und Ausspionierten äußerten, kannte die Stasi nur ein Mittel: „bearbeiten“.

1987 ist im Zuge der Skandale um die Berliner Verfassungsschutzbehörde bekannt geworden, daß auch die Sicherheitsdienste West ein massives Aufklärungsinteresse in der taz verfolgten. Fünfzig Ordner soll die „Sachakte taz“ umfassen, die im Archiv des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz lagert. Im Gegensatz zu den Unterlagen des untergegangenen Mielke-Imperiums ist diese für die Betroffenen aber nicht zugänglich.

Ende

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen