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Leben unter dem Gefrierpunkt

■ Adresse: Helgoländer Allee, unter der Brücke / Lieber draußen schlafen, als getrennt sein, meinen die zehn Bewohner

/ Lieber draußen

schlafen, als getrennt sein, meinen die zehn Bewohner

Am Tannenbaum hängen Reste von Lametta, ausgelassene Stimmung unter den Anwesenden, die Spaghetti stehen noch auf dem Tisch. „Wärt Ihr zehn Minuten früher gekommen, hättet Ihr mit uns zu Mittag essen können“. Ein gastfreundlicher Ort, dem nur eines fehlt: die schützenden vier Wände. Die Brücke überspannt die Helgoländer Allee nahe den Landungsbrücken - und sie bietet acht wohnungslosen Männern und zwei Frauen ein Obdach.

Reichlich Schnaps, stapelweise Decken, ein schwelendes Feuer und viel Herzenswärme, damit sichert sie ihr Überleben unterhalb des Gefrierpunktes: Die „Familie“, die um jeden Preis zusammenhält, die ihre Gemeinschaft unter der Brücke auch nicht für einen Schlafplatz in einem warmen Wohncontainer hergeben will. „Einer für alle“, meint der 30jährige Andy. „Die haben uns angeboten, hier einen Container hinzustellen. Aber da passen ja nur drei von uns rein.“ Unter den Bedingungen will keiner zusagen. Die klirrende Kälte? „Kein Problem“, winken alle ab. Sie haben schon kältere Winter erlebt. Der Fusel kreist, die nächste Zigarette wärmt die Lunge, eine weitere Decke wird übergeworfen.

Die zehn haben sich unter der Obhut der steinernen Bismarcks und Simon von Utrechts ihre „gute Stube“ eingerichtet. Couchgarnitur mit Eßtisch, Matrazenlager, ein Grill und ein reichlicher Nahrungsmittelvorrat - keine Bleibe für wenige Nächte, sondern für die nähere Zukunft. „Wir kommen gut mit den Leuten aus St.Pauli klar“, erzählt Andy. Ärger mit Skins gab es bislang keinen. „Zeig‘ ihnen mal unsere Hausordnung.“ Der 52jährige „Fremdenlegionär“ zieht grinsend einen Knüppel aus seinem Schlafsack hervor. „Die sollen froh sein, wenn sie keinen Ärger mit uns kriegen.“

Heiligabend gab es jede Menge Geschenke. Von der Polizei zwei Stangen Zigaretten und Freßpakete, andere spendierten als Weihnachtsmahl ein Fondue. „Den Weihnachtsbaum haben wir selber gekauft“, erzählt Schwalbe. Er ist noch keine 30, hat vor vier Jahren aus Sachsen „rübergemacht“ und lebt seitdem auf der Straße. Der „Fremdenlegionär“ hat ihn auf der Platte am Millerntorstadion aufgelesen: „Du schläfst ab jetzt bei uns.“ Der 52jährige Paulianer hat schon seit acht Jahren keine Wohnung, zeigt sich aber unverdrossen frohgemut.

In allgemeines Gröhlen bricht die Runde bei der Frage nach der städtischen Übernachtungsstelle Pik As aus: „Niemals, da mußt du deine Sachen festnageln, damit nichts geklaut wird.“ Lieber mit der Familie unter der Brücke. Schwalbe: „Hier habe ich Geschwister, nen Vater und nen Opa.“ Der Fremdenlegionär und Andy kassieren einen dicken Kuß.

Opa Pfeiffer kommt auf seiner Krücke angehinkt, sein Kopf ist blutverkrustet. „Nee, keine Schläge, bin hingefallen.“ Auch er macht schon ewig Platte - „seit zwanzig Jahren.“ Die Minustemperaturen lösen bei ihm nur ein müdes Achselzucken aus. „Wir wärmen uns gegenseitig.“ Ein Pärchen stößt zu der Gruppe - aus dem Hotel geflogen, aber wenigstens ein warmes Bad abgekriegt. „Schrecklich, sone Nacht im Hotel“, meint sie. Weder Zug- noch Autolärm, und auch das „Holla-

drio“ der Familie fehlte. „Die sollten uns das Geld für die verwanzten Pensionen lieber so geben“, meint Schwalbe, „hier können wir wenigstens selber kochen.

Opa Pfeiffer sägt derweil Holz fürs Feuer: „Das hält warm und fit. Ihr friert doch nicht etwa?“ Sannah Koch

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