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Es fehlt der Humus für das Neue

Die Rosinen im Programm können nicht täuschen: die Kunsthalle an der Budapester Straße ist schließungsreif. Ohne Gründung neuer Institutionen sieht es für die Kunst in Berlin schlecht aus.  ■ Von Jeannot Simmen

Was in Berliner Kunstvereinen für Millionenbeträge an Lottozuschüssen geleistet worden ist, steht in keiner Relation zum Ergebnis – sagte Clemens Fahnemann in einem Interview zur taz (18.12. 1992, S.26). Dem Langweilerverein muß mit innovativen Programmen die Luft abgegraben werden, antwortete der Galerist Bruno Brunnet (21.12.1992, S.26). Berlin brauche riesige populäre Kunstereignisse wie „Metropolis“. Jeannot Simmen, Autor und Ausstellungsmacher („Schwerelos“), Dozent an der HdK, sieht dieselbe Misere, aber plädiert wie Fahnemann für die kleinere Lösung: Der Frankfurter „Portikus“ als Modell. taz

Noch vor einem Jahr sonnte sich Berlin im globalen Scheinwerferlicht. Der Goodwill der Welt galt der befreiten und wiederauferstandenen Metropole. Zur Miss Germany gekürt, wurde dem armseligen Aschenputtel ein warmer Regen in Form großzügiger Subventionen versprochen. Das positive Investitionsklima ließ im Osten den wilden, frühkapitalistischen Westen durchstarten.

Ein Jahr später fröstelt Berlin im kulturellen Tief. Verflogen sind Idealität und Hoffnungen. Die gefeierten Bonner Beschlüsse für „Hauptstadt Berlin“ werden mit Händeschütteln und markigen Worten beschworen, aufgeschoben und scheitern etappenweise in der Rezession.

Für die schlauen Rheinländer und Bonner Ministrablen liegt Berlin heute irgendwo im polnischen Vorland. Man spöttelt nicht nur klammheimlich über die Hauptstadt-Euphorie als Rohrkrepierer, man spöttelt auch über Berlin als neues Neues Bundesland. Die Hauptstadt-Abstimmung gilt als eine nur mit PDS-Stimmen gewonnene Fata Morgana.

Auch in Berlin ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Die Wirtschaft tritt auf der Stelle, wenn überhaupt. Berlin-Politiker agieren bei kleinster Nestbeschmutzung in politischen Groß-Veranstaltungen lautstark mit Ordnungsparolen aus der Zeit des Kalten Krieges, schreien nach unseligen Überwachungsmethoden – nichtsahnend, daß der Clinton-Effekt demnächst einen Generationen-Umschwung in Deutschland auslösen wird. Keiner setzt so schnell Rost an wie ein Kalter Krieger.

Der Jammer: Aktuelle Kunst

Auch die Kultur jammert allerorten. Die Große Koalition der Jammeronkel wird fatale Realität quer durch alle Kunst-Institutionen. Tagtäglich werden die Ideen vom Aufbruch einer Kulturmetropole so gering, daß sie als Chimären von übertünchten Wänden höhnen. Das mangelnde Geld lasse keine Initiativen zu, lautet die Klage gerade von jenen, die in der Vergangenheit keineswegs durch Progressivität auffielen.

Nur ein kurzer Herbst der Anarchie weckte 1989 institutionalisierte Lethargie aus dem Lokalschlummer. Heute wird mit fehlendem Geld argumentiert, der Mangel an Ideen ist fein kaschiert! Die Vereinigung wird zum Sündenbock gestempelt, die Ostkollegen spielen den Schwarzen Peter. Alles ist wieder säuberlich im Trott geordnet.

Berlin ist konkurrenzlos – leider im Negativen. Kein Wettbewerb beflügelt die innerstädtische Konkurrenz oder jene umliegender Städte. Westwärts buhlen die Institutionen zeitgenössischer Kunst miteinander, konkurrieren um die Gunst der modernen Künstler. In den Rheinlanden bilden Köln, Düsseldorf, Essen, aber auch Krefeld und Münster interessante Pole. In Stuttgart, Basel, Bern, Zürich, Baden-Baden, Frankfurt... entstand ein südliches Zentrum aktueller Präsentationen. Vielfalt zeigt sich im Norden mit den vor wenigen Jahren neubesetzten Kunsthallen in Bremen, Hamburg und Hannover.

Allein im Osten, in und um Berlin, herrscht Ebbe: „Der Letzte macht das Licht aus.“ In Berlin, nun nicht mehr mit dem Bonus „Schaufenster des Westens“ angespornt, werden keine Highlights mehr gesetzt. Aus dem Westen hört man mehr mahnend als nur ironisch, daß Berlin-West abgewickelt werden soll.

Manko: Ein Ort für aktuelle Kunst

In jeder größeren Stadt informiert ein privater Kunstverein in enger Kooperation mit der staatlichen Kunsthalle über aktuelle internationale Kunst. Berlin hat zwei Kunstvereine, eine Kunsthalle, darüber hinaus die Nationalgalerie und weitere Institutionen (Bethanien, Haus am Waldsee, DAAD). Dennoch findet Moderne selten statt. Die westliche Stadthälfte leidet an einem jahrelangen Manko in Sachen aktueller Kunst. Darüber können auch nicht jene Großunternehmen, die alle zehn Jahre mal stattfinden, hinwegtäuschen. Sie dienen eher touristischen Interessen.

Der desolate Zustand kam nicht aus dem Nichts, ist vielmehr hausgemacht, hat Tradition. Der Höhepunkt im Verfall ist die „Staatliche Kunsthalle“, deren Ausstellungsliste sich liest wie eine Ahnenpflege im Künstler-Altersheim oder im Politverein. Hier wurden nie Positionen der internationalen Avantgarde vorgestellt. Avantgarde gilt dem Direktor, Dieter Ruckhaberle, als „Besenstiel an der Wand und ein bißchen warmes Wasser und ein bißchen tröpfelndes Wasser...abgestandenes Zeug.“ (SFB 24.2.89)

Darüber hinaus sind die Ausstellungsräume nur umgebaute Büroräume, für moderne Kunst ungeeignet wegen der fehlenden Raumhöhe. Berlins „Staatliche Kunsthalle“ dürfte die einzige größere Ausstellungshalle mit kleinbürgerlichem Ambiente, mit Sisalläufern, Rauhfasertapeten, Stellwänden mit dem Charme von studentischen Pinnwänden sein. Selbst bei bestem Willen muß von einer Präsentation internationaler Avantgarde in den Räumen an der Budapester Straße abgeraten werden. Keine Renovierung hilft, die verschmutzten Wände und Teppiche sind nur Details. Zu Recht finden die Bedingungen ein Entsetzen bei Künstlern, bei Kuratoren und Besuchern. Die staatliche Kunsthalle kann einzig noch als Verkaufslokal für einen Weihnachtsbasar dienen.

Darüber können auch nicht die wenigen Rosinen im Programm hinwegtäuschen. Diese Ausstellungen wurden nicht nur von der Kunsthalle gemacht, sondern auch von den Kunstvereinen verantwortet, die daselbst gastierten. In Sachen „Staatliche Kunsthalle“ ist wahrlich ein Notstand auszurufen: wegen Kunst und Künstler drängt's zu radikalen Entscheidungen. Das Ausbleiben aktueller Positionen ist langfristig auch als Manko bei der Ausbildung von Künstlern an Akademien spürbar. Es fehlt der „Humus“ für das Neue, der Blick auf Anderes.

Früher konnte man noch über das Programm der Kunsthalle nachlässig-verachtungsvoll hinwegsehen. Heute ist Einhalt zu gebieten. Das liegt daran, daß die Nationalgalerie die Präsentation aktueller Kunst in die ferne Zukunft, wenn der Hamburger Bahnhof ausgebaut sein wird, verschoben hat. Der institutionelle Boykott soll die Baumaßnahmen beschleunigen, bewirkt aber eine empfindliche Lücke. Retter sind keineswegs die Kunstvereine. Der Neue Berliner Kunstverein kennt einen starken Schwerpunkt auf einheimische Kunst. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst hat sich im unerquicklichen Labyrinth politischer Kunst verrannt, sie bietet allzuoft nur ein Programm für visuelle Anfänger.

Das Malum bildender Kunst in Berlin läßt sich entscheidend allein langfristig, mit radikalen Änderungen lösen. Kurzfristig wäre aber schon ein kleiner Experimentierraum (wie der von Kasper König bespielte „Portikus“ in Frankfurt) mehr als nur eine Notlösung.

Jeannot Simmen ist Autor und Ausstellungsmacher, lehrt am Fachbereich 1 der HdK.

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