Urlaubsgeld für immer

■ Minister Möllemann tritt zurück / Briefbogen: return to sender / Nachfolge bleibt im Erbhof FDP

Bonn, Berlin (taz/dpa) – Im Rahmen einer von ihm selbst einberufenen Pressekonferenz in Bonn hat am gestrigen Sonntag Wirtschaftsminister Möllemann in anspruchsvollen Formulierungen, aber schließlich unmißverständlich seinen Rücktritt erklärt. Die Rechtfertigung des Frühheimkehrers aus dem Urlaub besagt im Wesentlichen, daß die von ihm zu verantwortenden Werbebriefe für die Chip- Firma seines Vetters seinerseits zur Unterstützung von Arbeitsplätzen von Behinderten gedacht waren. Die endgültige Fassung der Briefe (in denen dieser Aspekt unerwähnt bleibt) habe er in der Tat vor seiner Unterschrift – an die er sich inzwischen erinnert – nicht mehr überprüft. Als indirekte Begründung für dieses Versäumnis gab der Minister einen Stunden- und Reiseplan für die Monate Februar und März 92 zu Protokoll (als die Empfehlungsschreiben sein Büro verließen), der jeden Wähler schuldbewußt erblassen läßt: 3.645 Ministervorlagen, 520 Arbeitsstunden, 6 Auslandsaufenthalte. „Wer viel arbeitet, wer viele Entscheidungen treffen muß, der macht auch Fehler.“ Wir können also dankbar sein, daß ihm nicht größere Unpäßlichkeiten unterliefen.

Bundeskanzler Kohl nahm die Rücktrittserklärung seines Vizekanzlers mit der üblichen Respektsbekundung entgegen. Der seine Amtsgeschäfte bis zur Kabinettsumbildung voraussichtlich Ende Januar weiterverfolgende Minister erklärte auch seinen Verzicht auf die etwaige FDP- Führung. Außenminister Kinkel hat hier bereits Interesse bekundet.

Über Möllemanns Nachfolge wird nun munter spekuliert, wobei die FDP keinerlei Zweifel daran läßt, daß sie das Wirtschaftsministerium beansprucht: Hat sie doch mit Lambsdorff, Bangemann, Haussmann und Möllemann der Republik bisher lauter integre, fähige Spitzenkräfte beschert. Lambsdorff selbst, bis zum schlechten Schluß mit Möllemann solidarisch, gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß die Partei auch weiter von den Fähigkeiten Möllemanns profitieren wolle. Möllemann habe „wirtschaftspolitisch ideenreich und entschlossen an der Vollendung der inneren Einheit Deutschlands mitgewirkt“.

Für das Wirtschaftsministerium stehen derzeit Günter Rexrodt (stellvertr. Berliner Landesvorsitzender der FDP), Horst Rehberger und Walter Hirche, Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt bzw. Brandenburg, in Rede. Das Möllemann- Opfer Irmgard Schwaetzer soll angeblich kein Interesse an der Nachfolge haben.

Günter Rexrodt schloß gestern nachmittag gegenüber der taz einen Wechsel von Berlin nach Bonn nicht aus. Eine Entscheidung werde er unter anderem von der innerparteilichen Situation abhängig machen. Rexrodt, der Vorstandsmitglied der Treuhandanstalt ist, will sich heute auf der Sitzung des FDP-Bundesvorstandes „ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen“. Zwar werde dort noch nicht über die Nachfolge entschieden, allerdings werde immerhin ein Stimmungsbild entstehen. ES

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