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Brot, Seife, Werbekuchen

Der Mainzer Lerchenberg in Not: Die ZDF-Oberen Dieter Stolte und Klaus Bresser melden sich mit zwei Büchern zum Thema Fernsehen zu Wort  ■ Von Achim Baum

Beim Zweiten Deutschen Fernsehen, so war jüngst zu lesen, herrscht Krisenstimmung. Allmählich werden die kommerziellen Konkurrenten für die Öffentlich-Rechtlichen zur Existenzbedrohung. Schon seit langem wandern die Stars ab. Die Werbezeiten verkaufen sich so schlecht, daß man beim ZDF bereits die Preise senken mußte. Und peu à peu sacken die Einschaltquoten. Der neue Chef der Planungsredaktion des ZDF, Markus Schächter, formulierte darum die finstere Prognose: „1993 ist ein entscheidendes Jahr für das Profil des Senders. Wenn es uns jetzt nicht gelingt, werden wir die nächsten fünf Jahre nicht überleben.“ Höchste Zeit für die Verantwortlichen auf dem Mainzer Lerchenberg, Flagge zu zeigen.

ZDF-Intendant Dieter Stolte, seit mehr als zehn Jahren oberster Mainzelmann, holte also seine alten Vorträge und Aufsätze aus der Schublade und ließ seinen Abteilungsleiter Emil Kettering daraus ein über 340 Seiten starkes „Positionspapier“ verfassen. „Fernsehen am Wendepunkt“, so sinnig heißt das Konglomerat, wartet vor allem mit einer „zentralen These“ auf: „Fernsehen ist kein Gut wie Brot und Seife.“ Und weil eine sprachlich und metaphorisch derart verkorkste Sentenz kaum für sich selbst sprechen kann, eilen schon auf den ersten Seiten die Herren Heidegger, Günther Anders, Aristoteles und Karl Popper dem Intendanten zur Hilfe. Stolte, gelernter Philosoph und Professor für „Medientheorie und Medienpraxis“ an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Hamburg, geizt nicht mit dem Inhalt seines Zettelkastens. Seiner widersprüchlichen Argumentation hilft das aber wenig.

Der Unterschied zu den Privaten: nicht deutlich genug

Der ZDF-Intendant ist realistisch und konservativ genug, um das sogenannte duale Rundfunksystem – die Konkurrenz von öffentlich- rechtlichen und kommerziellen Veranstaltern – gutzuheißen, „eine logische Konsequenz der neuen technischen Verbreitungsmöglichkeiten“. Die Vervielfachung der Programme, so folgert er, habe das Fernsehen „vom Angebots- zum Nachfragemedium“ gemacht, das Publikum zur Kundschaft. Nachdem Stolte diese (ökonomisch inspirierte) Voraussetzung erst einmal akzeptiert hat, muß er von nun an, umfangen von den Ideen Arnold Gehlens und Martin Heideggers, ganz allmählich in den Spagat gehen. Das nächste Kapitel widmet er darum denjenigen Kritikern (allen voran Neil Postman), die eine Kommerzialisierung der Television für das Ende der Kultur halten. Klar, daß Stolte sich in diesem Zusammenhang gegen die „Elitekultur“ ebenso vehement ausspricht wie gegen die „Populärkultur“; für sich und seinen Sender reklamiert er dagegen die „Alltagskultur“. Zur deutlichen Unterscheidung gegenüber dem Kommerzfernsehen reicht dieses Schlagwort freilich noch lange nicht aus.

Das bleibt dem „Herzstück des Buches“ überlassen, einem Kapitel über die „Rolle des Rundfunks in der Demokratie“. Immanuel Kant eröffnet den Reigen der Zitate, dicht gefolgt von Habermas. Daß Stolte nun sehr oft vom „öffentlichen und freien Diskurs“ redet, hat mit den Gedanken des Frankfurter Sozialtheoretikers jedoch kaum etwas zu tun. Denn Stolte kommt zu dem Schluß, die Medien seien „keine vierte Gewalt“, sondern „Makler“ der Öffentlichkeit. Die „Programmfreiheit und die weitgehende Unabhängigkeit von staatlicher Einflußnahme befähigt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Ausübung eines kritischen Wächteramtes“, behauptet er schließlich – eine Einschätzung, die angesichts der parteipolitischen Machtkämpfe um den Rundfunk als geradezu aberwitzig erscheint.

Der ZDF-Intendant hält sich denn auch mit den Auswüchsen der Medienpolitik nicht sonderlich auf. Viel wichtiger erscheint ihm die Abschottung der Öffentlich- Rechtlichen gegen den „ökonomischen Marktwettbewerb“, denn das „berührt den Nerv des dualen Rundfunksystems“. Doch selbst diese für Stolte „zentrale Frage“ entgleitet ihm wieder, wenn er in den folgenden Kapiteln zu klären versucht: „Was heißt Programmerfolg im Fernsehen?“ und über die „Stellung des Fernsehens im Medienkonzert“ (ein sehr schwaches Synonym für den Begriff: Medienmarkt) nachdenkt. Sogar im „Streit um den Werbekuchen“ will Stolte dann am Ende noch eine „Ergänzungsfunktion“ zwischen den Massenmedien erkannt haben. Doch an diesem Punkt hat seine Argumentation die „Balance“, von der er so gerne spricht, bereits verloren.

Selbstkommerzialisierung bis in die „heute“-Sendung

Speziell dem ZDF ist in den vergangenen Jahren oft vorgeworfen worden, es leiste der „Konvergenz“ im dualen Rundfunksystem, der Annäherung des Programmprofils von öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Fernsehanbietern Vorschub. Über weite Strekken liest Stoltes Buch sich als eine nachträgliche Rechtfertigung gegenüber dieser Kritik. Das wird besonders deutlich, wenn er versucht, den „Programmerfolg“ des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu legitimieren, und eingestehen muß: „Für den Wettbewerb mit den privaten Programmanbietern gibt es keinen übergreifenden Vergleichs- Maßstab“. Wohl wahr! Gerade das war ja einmal der Anspruch des staats- und kommerzfernen Rundfunks: ein Programm ohne Erfolgszwang, die Bedingung für zwanglose Kommunikation. Unter den realen Umständen einer Vermarktung und Vermachtung der Öffentlichkeit droht das „duale Rundfunksystem“ diesen Anspruch in die Bedeutungslosigkeit abzudrängen.

Als Intendant einer öffentlich- rechtlichen Fernsehanstalt (der größten Europas) wird Stolte sich wohl für das eine oder andere endgültig entscheiden müssen. Zumal da noch eine unübersehbare Glaubwürdigkeitslücke klafft: zwischen dem Buchautor Stolte, der von „Brot und Seife“ nichts wissen will, und dem Manager Stolte, der die Selbstkommerzialisierung des ZDF jetzt bis zur Fernseh-Reklame in den „heute“-Nachrichten vorangetrieben hat – zwischen Somalia und Wetterbericht Werbespots für Brot und Seife.

Vergleichsweise aufmunternd ist dagegen, was ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser auf rund der Hälfte von 340 Seiten über „Fernsehen, Moral und Journalisten“ schreibt. Bresser nutzt die politischen Ereignisse der vergangenen drei Jahre zu einer Selbstkritik des Fernsehjournalismus und formuliert daraus einige Konsequenzen für die Zukunft. Zunächst schreckt einen die phrasenhafte Beschwörung von „Alltag“ und „Geschichte“, „Wirklichkeit“ und „Wahrheit“ noch ab, die scheinbar unreflektierte Begeisterung für das Medium Fernsehen („Welche Bilder!“ heißt es immer wieder) betrachtet man mit wachsender Skepsis. Doch schon wenn Bresser unverhohlen die Schwächen des Fernsehens und der Fernsehjournalisten in der Berichterstattung über den Golfkrieg eingesteht (sie seien „zum Instrument der Herrschenden“ geworden, „manipuliert, getäuscht“ und belogen), wird die Richtung deutlich, in die der ZDF-Journalist will. Wenn er dann schließlich die dampfende Blutspur des „Reality-TV“ bis in die politische Berichterstattung hinein verfolgt und mit Blick auf die Stasi-Debatte Kollegen wie Heinz-Klaus Mertes (früher BR, jetzt bei Sat.1) trockenlegt („Ankläger und Richter zugleich“), ist das Pathos des Eingangskapitels schon beinahe vergessen. Daß Bresser „die Rundfunkfreiheit als konkrete Utopie begreift“, klingt jetzt fast bescheiden. Und genau das fordert er am Ende: „Mehr Bescheidenheit. Das Fernsehen muß von sich aus auf den Nimbus des unfehlbaren [...] Massenkommunikationsmittels verzichten.“ Statt dessen, so der ZDF-Chefredakteur, sollten die Programme „Einladungen an den Zuhörer oder Zuschauer sein, mitzudenken, zu widersprechen oder zuzustimmen“. Das ZDF als Kommunikationsapparat? Was denn nun, meine Herren?

Dieter Stolte: „Fernsehen am Wendepunkt – Meinungsforum oder Supermarkt?“, Verlag C. Bertelsmann, 348 Seiten, geb., 44 DM.

Klaus Bresser: „Was tun? – Über Fernsehen, Moral und Journalisten“, Luchterhand Verlag, 176 Seiten, geb., 28 DM.

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