■ Der Präsident Bosnien-Herzegowinas, Alija Izetbegović, fordert eine begrenzte militärische Intervention
: „Der Krieg wird weitergehen“

taz: Sie haben vor wenigen Minuten mit Kanzler Kohl telefoniert und fliegen nun am Mittwoch (gestern) morgen – statt zu Konsultationen nach Sarajevo – zu Gesprächen in die USA. Was erwarten Sie als Präsident und zugleich Vertreter der muslimischen Volksgruppe von den westlichen Staaten?

Alija Izetbegović: In meinem Telefonat mit Kanzler Kohl habe ich unsere Positionen während der Genfer Verhandlungsrunde erklärt sowie unsere Bewertung des Scheiterns dieser jüngsten Runde. In der öffentlichen Meinung westlicher Länder – vor allem in den USA und Frankreich – hat sich eine Änderung vollzogen. Nur die öffentliche Meinung in Großbritannien stellt uns noch nicht zufrieden, während Deutschland immer sehr klare Positionen und Bewertungen hinsichtlich unserer Lage hatte. Wir rechnen jetzt und in der Zukunft also mit anderen Reaktionen der westlichen Staaten auf unsere Forderungen. Leider kommt das für viele Menschen zu spät, die ermordet oder aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Aber können Sie statt lediglich guter Worte und verbaler Unterstützung auch konkrete Taten erwarten? Hat Kohl zum Beispiel Ihnen konkrete Zusagen gemacht?

Auf meine Forderung hin, die Serben müßten gedrängt werden, dem Abzug und der Kontrolle ihrer schweren Artillerie durch die UNPROFOR (UNO-Schutztruppen) zuzustimmen, antwortete Kohl, dies sei eine legitime und vernünftige Forderung. Er werde sich dafür einsetzen. Ja, wir rechnen mit konkreten Taten des Westens.

Was für Taten?

Begrenzte militärische Aktionen. Damit meine ich ausschließlich Luftangriffe. Luftangriffe gegen im Einsatz befindliche Kampfflugzeuge der Serben, gegen ihre Militärflughäfen, und zwar sowohl in Bosnien-Herzegowina wie in Serbien und gegen Stellungen ihrer schweren Artillerie, mit der sie zivile Ziele angreifen. Die Serben weigern sich, dem in Genf vorliegenden dreiteiligen Abkommen zuzustimmen, wonach alle drei Seiten ihre Artilleriegeschütze abziehen und sie an Sammelpunkten außerhalb der Reichweite möglicher gegnerischer Ziele der Kontrolle der UNPROFOR unterstellen. Wenn die Serben das weiter ablehnen, müssen diese Artilleriegeschütze durch militärische Maßnahmen eliminiert werden.

Bedarf es nicht zumindest verstärkter militärischer Sicherungs- und Begleitmaßnahmen, um Hilfs- und Versorgungskorridore durchzusetzen, damit in den nächsten Wochen und Monaten nicht noch Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende erfrieren, verhungern oder in Folge von Kampfhandlungen sterben?

Ja, unbedingt. US-Präsident Bush hat hierfür bereits auf dem KSZE-Gipfeltreffen Anfang Juli in Helsinki ein sehr konkretes Versprechen gegeben. Er erklärte damals wörtlich, die Hilfskorridore müßten „unter allen Umständen durchgesetzt und gesichert werden, welche Mittel auch immer dafür erforderlich sind“. Wenn ich Präsident Bush bei meinem Aufenthalt in den USA treffen sollte, werde ich ihn an dieses Versprechen erinnern.

Wen werden Sie in den USA treffen?

Auf jeden Fall Mitglieder der Bush-Administration und der künftigen Clinton-Regierung. Möglicherweise in New York auch Vertreter von Mitgliedsstaaten des UNO-Sicherheitsrates.

Die von den beiden Konferenzvorsitzenden Vance und Owen zu Beginn der letzten Genfer Verhandlungsrunde am vergangenen Samstag vorgelegte Karte mit zehn Provinzen hatte Ihre Delegation zunächst aus prinzipiellen Gründen entschieden abgelehnt. In einer schriftlichen Erklärung Ihrer Delegation hieß es, der von Vance und Owen mit dieser Karte gewählte Ansatz sei auch die „Grundlage für die bisherige serbische Aggression und die ethnischen Säuberungsmaßnahmen“ und werde „den Krieg nicht stoppen, sondern neu eskalieren“. Eine Umsetzung dieses Ansatzes bedeute die „konstitutionelle Festschreibung der ethnischen Teilung Bosnien-Herzegowinas“. Am Sonntag akzeptierten Sie diese Karte dann jedoch zumindest als „stark korrekturbedürftige Verhandlungsgrundlage“. Warum?

Uns war sehr daran gelegen, diese Konferenz auf jeden Fall zu retten. Deshalb haben wir diese Karte als Verhandlungsgrundlage akzeptiert, verlangen allerdings – bislang vergeblich – an fünf Stellen Veränderungen der von Vance und Owen vorgeschlagenen Grenzziehungen. Wir wollten vermeiden, als die Schuldigen für das Scheitern dieser Konferenz dazustehen. Wir stehen unter dem Druck der internationalen Staatengemeinschaft, der EG und der UNO, uns auf ein Abkommen einzulassen, von dem wir nicht überzeugt sind, daß es gut für uns ist. Insofern sind wir in etwa derselben Situation wie die Tschechoslowakei vor dem Zweiten Weltkrieg. Aber der stärkste Druck, der auf unserer Verhandlungsdelegation lastet, ist die sehr, sehr schwierige Situation unseres Volkes. Und unser Volk erwartet genau das Gegenteil dessen, wozu uns die internationale Staatengemeinschaft drängt. Doch ausschlaggebend ist das schwere Leiden unseres Volkes zum jetzigen Zeitpunkt. Es ist nicht unsere Generation, die jetzt alle Probleme zu lösen hat. Einiges müssen wir der nächsten Generation überlassen, wir müssen jetzt vor allem den Einheitsstaat Bosnien-Herzegowina bewahren.

Hat ein solcher in mehr oder weniger ethnisch definierte Provinzen aufgeteilter Einheitsstaat denn mittelfristig überhaupt eine Überlebenschance?

Wenn wir erst einmal Frieden haben, werden die ethnischen und nationalen Aspekte wieder eine geringere Rolle spielen. Auf allen Seiten werden nüchterne wirtschaftliche Interessen wieder das Denken und Handeln bestimmen. Und das ist eine starke Kraft. Der Verkehr von Waren und anderen ökonomischen Verbindungen wird zu einer Überwindung dieser Provinzgrenzen führen. Diese internen Grenzen wären dann nicht mehr so wichtig wie heute.

Sie haben bei Ihrer Genfer Pressekonferenz am Montag lediglich die Anerkennung des Einheitsstaates durch die Serben sowie Abzug und Kontrolle aller schweren Waffen ausdrücklich zu „conditiones sine qua non“, also zu Vorbedingungen erklärt für Ihre Unterschrift unter die von Vance und Owen am Montag abend vorgelegte dreiteilige Vereinbarung. Sind die von Ihnen verlangten fünf Veränderungen der von Vance und Owen vorgelegten Karte – denen die Serben und Kroaten ja zustimmen müßten – ebenfalls eine Vorbedingung für die Unterschrift unter das Abkommen?

Ja, auf jeden Fall. Wir bestehen auf all diesen fünf Veränderungen. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Forderungen, die von Vance und Owen vorgeschlagene Grenze zwischen der künftigen muslimischen Provinz Bihać und der serbischen Provinz Banja Luka nach Osten und nach Süden zu verschieben. Denn die davon betroffenen, einst von Muslimen bewohnten Gebiete wurden von den Serben ethnisch gesäubert. Bliebe es bei der von Vance und Owen vorgeschlagenen Grenzziehung, könnten die Vertriebenen nicht in ihre Heimat zurückkehren. Das heißt, die „ethnischen Säuberungsmaßnahmen“ würden offiziell sanktioniert.

Wie sehen Sie die Zukunft der bewaffneten Streitkräfte?

Für einen gewissen, aber nicht zu langen Zeitraum ist ihre Stationierung in den jeweiligen Provinzen möglich. Das Ziel muß die schrittweise vollzogene vollständige Demilitarisierung Bosnien- Herzegowinas sein.

Sie wollen nach Ihrer Rückkehr aus den USA am Sonntag nur einige Stunden an der Genfer Verhandlungsrunde teilnehmen und dann zur am Montag in Dakar beginnenden Islamischen Konferenz fliegen. Warum?

Ich werde vor allem um politische, aber auch materielle Unterstützung bitten, um Unterstützung der Forderung nach Rückzug und Kontrolle der schweren Waffen sowie um die Zustimmung zu militärischen Maßnahmen, falls diese Forderung von den Serben nicht erfüllt wird. Die islamischen Staaten, das ist unsere Erwartung, sollten militärische Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft finanziell unterstützen. Schließlich werde ich die islamische Konferenz erneut bitten, sich beim UNO-Sicherheitsrat für die Aufhebung des Waffenembargos gegen uns einzusetzen.

Vance und Owen bemühen sich zur Zeit in Belgrad, über Präsident Milošević Druck auf Karadžić auszuüben, damit dieser seine Haltung bis zur Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen am Sonntag ändert. Sehen Sie überhaupt noch eine Chance für ein Verhandlungsergebnis?

Nein, ich rechne nicht mehr damit. Karadžić steht seit seiner Ablehnung des gesamten Abkommens am Montag vor der internationalen Staatengemeinschaft als Verweigerer da. Gäbe er seine Forderung nach einem serbischen Teilstaat auf, stünde er vor seinen eigenen Leuten als Verlierer dar. Ich glaube, der Krieg wird für eine lange Zeit weitergehen. Und das ist die Schuld der serbischen Seite. Interview: Andreas Zumach

geführt am Dienstag abend in Genf