„Die Probleme sind hausgemacht“

Im Augsburger Tornado-Werk gärt es: Die Dasa hat zu lange auf den Jäger90 gesetzt und Konversionsprojekte blockiert/ Entlassungswelle droht  ■ Aus Augsburg Klaus Wittmann

Die Stimmung an dem großen Tisch in der kleinen türkischen Kneipe ist gereizt. Aus allen Bereichen des benachbarten Flugzeugwerkes der Deutschen Aerospace (Dasa) sind Mitarbeiter gekommen, um sich Luft zu verschaffen. An vielen Flugzeugtypen haben sie schon mitgebaut – zuletzt an dem Kampfjet Tornado, am Jäger 90 und dem Airbus. Doch unter den Flugzeugbauern kursiert die Angst: sie befürchten, daß sie bald keine Flugzeuge mehr bauen werden. Der Grund: Ein Drittel der 2.200 Stellen in dem früheren MBB-Werk soll in den nächsten zwei Jahren abgebaut werden. Daß die Männer ins Wirtshaus gekommen sind, liegt an der Dasa-Konzernleitung. Die hat nämlich kurzerhand Gespräche mit den Beschäftigten auf dem Werksgelände untersagt.

Gegenüber ihrem Management sind die Arbeiter mehr als mißtrauisch geworden. Seit Monaten spielt die Dasa-Crew um den Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp mit verdeckten Karten. Keiner weiß, wer von den Entlassungen betroffen ist. Die jüngeren Kollegen befürchten, sie würden als erste gefeuert, sagt einer der Flugzeugbauer, der im Jäger90- Programm arbeitet. Niemand ist sich sicher, ob es bei den 700 Stellen bleiben wird, die abgebaut werden sollen. „Eine katastrophale Stimmung“, erklärt ein 40jähriger Kollege.

Wie stark die Flugzeugbauer der zum Daimler-Benz-Konzern gehörenden Dasa von staatlichen Rüstungsaufträgen abhängig sind, wird am Jäger 90 überdeutlich. Trotz des politischen Hickhacks um eine abgespeckte Variante rechnet die Geschäftsleitung offensichtlich immer noch mit dem milliardenschweren Großprogramm. Das muß sie wohl auch, denn ein Fehlschlag könnte sich folgenschwer auf die Unternehmensgruppe auswirken. Bei 18 Milliarden Mark Umsatz beträgt der Rüstungsanteil seit der Einbeziehung der Deutschen Airbus in den Luft- und Raumfahrtkonzern zwar nur noch rund 30 Prozent, doch das ist immer noch mehr als genug. Intern wird bereits mit einer Halbierung der Rüstungsaufträge in den nächsten fünf Jahren gerechnet – was das für die rund 13.000 Beschäftigten der Geschäftssparten „Verteidigung und zivile Systeme“ und „Luftfahrt“ bedeutet, ist abzusehen. Bereits jetzt sollen bis Ende 1994 in beiden Bereichen zusammen über 6.000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Fällt der Euro-Jäger den Bonner Sparplänen endgültig zum Opfer, wäre allein jeweils die Hälfte der Mitarbeiter in Augsburg und Manching (2.000) betroffen. Hinzu kommen noch ganze Entwicklungsabteilungen in Ottobrunn. Doch die Augsburger Beschäftigten wissen nur zu gut, daß ihr Arbeitgeber den auf 8.000 bis 10.000 Stellen bezifferten Verlust von Arbeitsplätzen als Druckmittel benutzt und einen Massenexodus für den High-Tech-Standort Deutschland heraufbeschwört.

„Die Probleme sind doch größtenteils hausgemacht“, sagt einer in der Runde, und alle nicken zustimmend. „Der Betriebsrat hat schon vor zehn Jahren gesagt, daß wir ein zweites Standbein brauchen, aber die von der Werksleitung haben das alles abgelehnt.“ Die Kritiker der deutschen Rüstungsindustrie aus den Reihen der Dasa-Beschäftigten sehen sich im Verhalten ihrer Geschäftsleitung bestätigt. Auf wenig Interesse seien all die Vorschläge für alternative Produkte gestoßen. Dabei wären eine ganze Reihe zukunftsträchtiger Projekte dabeigewesen, die die Abhängigkeit von der Rüstungsproduktion erheblich minimiert hätten. „Das hat die doch nie ernsthaft interessiert, weil im Grunde genommen mit dem Jäger-Programm viel mehr zu verdienen ist“, sagt ein alter Hase aus der Produktion. Was aber gerne verschwiegen wird, ist, welch geringe Unterstützung die wenigen Vordenker in Sachen Rüstungskonversion auch aus dem Kollegenkreis erhielten. Nicht einmal der Konzernbetriebsratsvorsitzende sei sonderlich interessiert gewesen, sagen sie. Heute, wo den Flugzeugbauern das Wasser bis zum Hals steht, will es plötzlich jeder gewußt haben, daß man sich rechtzeitig nach Alternativen hätte umsehen müssen. Doch dafür ist es jetzt vielleicht schon zu spät.

Indessen gehen die Zahlenspiele um den Jäger weiter. „Was da an Gewinn zu machen ist, sehen Sie doch schon daran, daß man plötzlich angeblich das Ding für 90 Millionen bauen kann“, meint ein Flugzeugbauer, der bald sein 25jähriges Firmenjubiläum feiern kann. Kaum hatte 1988 Ex-Verteidigungsminister Manfred Wörner die Entwicklungsverträge unterschrieben, kletterte der Preis von 83 Millionen auf über 130 Millionen Mark. Wenig später geisterte dann gar die astronomische Summe von 200 Millionen Mark pro Stück (inklusive Radar und Bewaffnung) durch den Luftraum. Als jedoch die Notwendigkeit eines hochmodernen Jagdflugzeugs von immer mehr Politikern in Frage gestellt wurde, zeigte sich, wie flexibel Rüstungsfirmen in der Preisgestaltung sein können und wie hoch offenbar die Gewinnspannen sind.

Im Werk, oben im ersten Stock im Betriebsratsbüro, ist die Stimmung nicht besser als in der Kneipe. Noch bevor wir den Betriebsratsvorsitzenden zum Gespräch treffen, hat sich schon die Werksleitung über den Anlaß unseres Besuches erkundigt und den Betriebsrat darauf hingewiesen, daß der Aufenthalt nur im Betriebsratstrakt gestattet sei und ein Zutritt in die Fabrikationshallen nicht erlaubt sei. Manfred Zitzelsberger, Betriebsratsvorsitzender im Augsburger DASA-Werk, gehört der Arbeitnehmervertretung seit 1968 an. „So ein Tief wie zur Zeit habe ich noch nie erlebt.“ Er fühlt sich sichtlich unwohl, daß er quasi auf das Jagdflugzeug und damit weiterhin auf Rüstungsaufträge hoffen muß, um die Arbeitsplätze der Kollegen zu sichern.

Dabei schien gerade in Augsburg das Unmögliche zu gelingen: zu rund 70 Prozent wurde im Werk von der militärischen auf die zivile Flugzeugproduktion umgestellt. Früher war das Verhältnis genau umgekehrt. Das Airbus-Programm sollte der Rettungsanker werden. Doch seit durch die Pleiten zahlreicher Fluggesellschaften ein Überangebot an Gebrauchtflugzeugen entstanden ist, haben viele Airlines ihre Airbus-Aufträge storniert. Das Ergebnis: Die Produktionszahlen purzelten.

Bis zum Frühjahr wird in Augsburg noch an der ursprünglichen Version des Jäger 90 gebastelt. Doch jeder der hochspezialisierten Mitarbeiter weiß, daß er an einem bereits todgeweihten Projekt werkelt. „Wieso wurde nicht schon vor zehn Jahren auf unsere Alternativvorschläge eingegangen?“ fragt Manfred Zitzelsberger vorwurfsvoll. Bereits 1982 hatten Betriebsräte einen damals bundesweit einmaligen „Arbeitskreis Alternative Produktion“ gegründet. Mehr als zwanzig konkrete Vorschläge wurden eingereicht, von Laser- Schweißmaschinen bis zu Fertigungsstraßen, darunter auch Projekte für den zivilen Flugzeugbau und die Automobilindustrie. Doch von der Dasa-Konzernleitung gab es keine Reaktion. Womöglich, um ein Druckmittel in den Verhandlungen mit den Regierungen zu haben? Wurde und wird da ein gefährliches Spiel mit den Arbeitsplätzen getrieben, um den totgesagten Euro-Jäger doch noch durchzusetzen?

Die Konzernleitung weist dies mit Nachdruck zurück. „Solche Behauptungen sind völlig von der Hand zu weisen. Es entspricht nicht dem Verständnis der Deutschen Aerospace, Druck auf Regierungen auszuüben“, erklärt Wolfram Wolff, Pressesprecher des Produktionsbereichs Militärflugzeuge. Daß die Dasa das „zivile Kerngeschäft“ gestärkt habe, zeige sich schon allein an Programmen wie dem Airbus, neuen Regionalflugzeugen, kommerziellen Satellitensystemen und auf dem Gebiet erneuerbare Energien.

Für die Beschäftigten und den Betriebsratsvorsitzenden sind das alles nur Worthülsen. Zitzelsberger hat vor kurzem „ein streng formuliertes Schreiben“ in Sachen alternative Produktion an die Konzernleitung geschickt. Doch während der Augsburger Betriebsrat noch immer auf den Aufbruch zur Rüstungskonversion wartet, dringen auch vom Dasa-Nachbarbetrieb im knapp 100 Kilometer entfernten Ulm Hiobsbotschaften nach Augsburg. Nicht nur am Lech, auch an der Donau sollen Stellen abgebaut werden – 600 allein im nächsten Jahr. Angesichts dieser Entwicklung löst das Versprechen der Dasa-Mannschaft, man werde versuchen, durch Auflösungsverträge und Einstellungsstopps den Arbeitsplatzabbau sozialverträglich zu gestalten, nur wenig Zuversicht aus.