: Warten auf ein Unglück auf der Elbe
■ Auch in deutschen Häfen dürfen Öltanker ein- und auslaufen, die die Sicherheitsstandards nicht einhalten
Das Tankerunglück an der Küste der Shetlandinseln kann sich jederzeit auch an der Elbe ereignen. Kapitän Ulf Christiansen von der International Transport Federation sagte der taz gestern, daß auch in deutschen Häfen häufiger „Tanker einlaufen, die man nur als schwimmende Bomben bezeichnen kann“. Christiansen, der siebzehn Jahre zur See gefahren ist, klagt, das bundesdeutsche Behörden auch solchen „Seelenverkäufern immer wieder Ausfahrtgenehmigungen erteilen“. Christiansens Beobachtungen decken sich mit denen der Abteilung Seeschiffahrt der ÖTV. „Wir warten nur darauf, daß ein Tanker in der Elbe leerläuft“, kommentiert Werner Kunz von der ÖTV. „In Hamburg haben wir Tanker gehabt mit Löchern in den Tankwänden. In den Tank kommt diesmal kein Öl, hieß es dann. Dann ist das Schiff ausgelaufen.“
Die gefährlichsten Tanker seien zwar im Regelfall die, die keiner großen Ölgesellschaft gehörten, so Christiansen. Aber wie der Unfall der „Exxon Valdez“ in Alaska gezeigt habe, seien auch die großen Ölkonzerne nicht gefeit gegen eine Katastrophe. Zumal auch die Konzerne mit dem Pfennig fuchsten und immer mehr Schiffe unter Billigflaggen mit unzureichend ausgebildetem Personal und schlechten Schiffen laufen ließen.
Die Bundesrepublik ist einer der Hauptauftraggeber des riskanten Ölgeschäfts. Praktisch das gesamte Rohöl für den Energiehunger der Bundesdeutschen wird heute per Tanker transportiert. Fast 23 Millionen Tonnen Rohöl kamen zwischen Januar und September 1992 in deutschen Häfen wie Wilhelmshafen an. Die übrigen 50 Millionen Tonnen deutschen Öls wurden in dieser Zeit im Nordseehafen Rotterdam gelöscht oder per Pipeline aus dem Osten und von den Mittelmeerhäfen Triest und Marseille herangeschafft.
Verantwortlich für die Sicherheit der Tanker sind auch die Auftraggeber der gefährlichen Fracht. Sie werden von den Versicherungen international auch zur Haftung herangezogen. Die deutschen Mineralölkonzerne haben nach einem gestrigen Rundruf der taz aber dennoch nicht die Absicht, das Risiko, das sich aus ihren Schiffstransporten ergibt, durch striktere Standards der von ihnen genutzten Transportschiffe zu minimieren.
„Wir haben gar keinen Einfluß auf die Schiffe, mit denen unser Öl transportiert wird“, zog sich Irmin Alexander Geck, Pressesprecher der ESSO in Hamburg, aus der Affäre. Der Transport werde von der Muttergesellschaft gesteuert. Der Pressesprecher der Deutschen Shell, Rainer Winzenried, verwies darauf, daß „von deutschen Firmen beauftragte Tanker bislang noch nicht in größere Unfälle verwickelt waren“. Shell läßt, wie auch die anderen deutschen Konzerne, seine Tanker heute zumeist unter Billigflaggen segeln. In einem Papier der Deutschen Shell Tankergesellschaft heißt es quasi zur Begründung: „Die jüngste Vergangenheit hat auch gezeigt, daß Qualität und Sicherheit sich finanziell noch nicht auszahlen.“
Die Manager sind sich allerdings des Risikos bewußt. Die Praktiken der achtziger Jahre, nur das Notwendigste zu reparieren, dürften nicht fortgesetzt werden, so das Shell-Papier vom März 1992. Der Industrie müsse es gelingen, zumindest die 20 Prozent Seelenverkäufer unter den Tankern, „die zum Teil unversichert sind, aus dem Verkehr zu ziehen“.
Gefahr erkannt, aber noch lange nicht gebannt. Neue, sicherere Schiffe und besser ausgebildete Besatzungen fallen nämlich nach wie vor den Profitinteressen von Reedern und Mineralölkonzernen zum Opfer. Doppelte Schiffswände, mit Unterdruck gesicherte Ladekammern, schärfere Sicherheits- und Konstruktionsvorschriften, neue Schiffstechnik wären schon heute möglich. Vom Juli 1993 an müssen schließlich Tanker über 5.000 Tonnen nach den verschärften Vorschriften der „International Maritime Organisation“ gebaut werden. Auf amerikanischen Werften gilt diese Richtlinie bereits seit 1990 – eine Konsequenz der Havarie der „Exxon Valdez“ vor der Küste Alaskas im Jahr 1989.
Doch die Pfennigknauserei der Mineralölfirmen und Reeder mußte auf den Shetlands wie zuvor in nordspanischen La Coruna noch einmal direkt in die Katastrophe führen. Jetzt erschallt allenthalben der Ruf nach schärferen Regelungen. Der Vorsitzende des Umweltausschusses im Europaparlament, Ken Collins, ruft nach schärferen Sicherheitsvorschriften und Schutzzonen an den Küsten. Der französische Staatssekretär für Meeresfragen, Charles Josselin, will gar Europas Häfen für technisch unsichere Schiffe mit schlecht ausgebildeter Besatzung sperren lassen.
Handlungsmöglichkeiten hätten prinzipiell natürlich auch die Kapitäne an Bord der Tanker. „Ein Kapitän kann formal sagen, ich lasse das Schiff im Hafen liegen“, so Kapitän Christiansen. Aber die Reeder machten Druck, und der Reeder werde im Zweifel immmer jemand finden, der das Schiff übernimmt. Offenbar nicht in Deutschland: Unter deutscher Flagge segelt nur der 1977 gebaute Tanker „Bayern“ der VEBA. Bessere Schiffe und besser ausgebildete Besatzungen würden den Verbraucher nur Pfennigbeträge für den Liter Benzin oder Heizöl mehr kosten, räumt Bernd Kröger, Geschäftsführer des Verbands deutscher Reeder, ein. Aber höhere Kosten für den Transport habe man auf den internationalen Märkten bislang nicht durchsetzen können. „Ein neugebauter Tanker rechnet sich heute nicht.“ Und deshalb, so kann man ergänzen, werden 1.120 Millionen Tonnen Rohöl im Jahr auch künftig zumeist in alten klapprigen Kähnen über die Weltmeere geschippert. Hermann-Josef Tenhagen
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