: Arbeitslosenstatistik geht steil nach oben
■ Über 3,1 Millionen Arbeitslose in Ost- und Westdeutschland – Rasanter Anstieg der Kurzarbeit
Über 3,1 Millionen Menschen waren im Dezember im vereinten Deutschland arbeitslos. Die Kündigungen zum Jahresende sind in der vom Chef der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), Heinrich Franke, bekanntgegebenen Statistik jedoch noch nicht enthalten. Franke macht den „Abschwung“ in den alten Bundesländern zusammen mit dem „weiter auf sich warten lassenden Aufschwung“ in den neuen Ländern für die „schwere Entwicklung“ verantwortlich. „Von Katastrophe zu sprechen weigert sich meine Zunge“, betonte der BA-Präsident. Der Prognose des Arbeitgeber-Präsidenten Klaus Murrmann, im kommenden Jahr werde es 5,5 Millionen Arbeitslose geben, schloß sich der Ende Januar aus dem Amt scheidende Franke nicht an.
In den alten Bundesländern waren Ende Dezember 2,025 Millionen Menschen arbeitslos, 140.800 mehr als im Vormonat. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 6,6 Prozent (November 6,1 Prozent). Im Jahresdurchschnitt 1992 gab es in Westdeutschland mehr als 1,8 Millionen Arbeitslose, dies sind 118.900 mehr als im Vorjahr. Die „ungünstige Tendenz“ am westdeutschen Arbeitsmarkt, wie sich Heinrich Franke vornehm ausdrückte, zeigt sich auch in dem rasanten Anstieg der Kurzarbeit. Von August bis Dezember hat sich die Kurzarbeiterzahl auf zuletzt 649.583 verfünffacht. Insbesondere Bergbau, Eisen- und Metallwarenherstellung sind davon betroffen.
In der ehemaligen DDR blieb laut Franke „die heißersehnte Wende“ am Arbeitsmarkt aus. Auch 1992 seien Arbeitsplätze in großer Zahl weggefallen. Von einstmals 9,7 Millionen Erwerbstätigen (Anfang 1990) sind nurmehr sechs Millionen übriggeblieben. Im Verlauf des vergangenen Jahres ist die Erwerbstätigkeit um 700.000 gesunken. Franke konstatierte jedoch, daß in kleineren Bereichen des Dienstleistungssektors „schon selbsttragende Kräfte die Oberhand gewonnen“ hätten und neue Arbeitsplätze geschaffen worden wären. Dies betreffe Banken, Versicherungen, Wirtschaftsberatung und Datenverarbeitung.
Im Dezember waren in den neuen Ländern 1,1 Millionen Menschen ohne Arbeit, 14.300 mehr als im November. Die Quote erhöhte sich um 0,1 Prozent auf 13,5 Prozent.
Während die Arbeitslosenzahlen nach oben klettern, geht die Zahl der Beschäftigten in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen seit September kontinuierlich zurück. Eine Entwicklung, die sich durch das neue Arbeitsförderungsgesetz und die Haushaltskürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit noch erheblich verschärfen wird. Die entlastende Wirkung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie Kurzarbeit, ABM, Vollzeitmaßnahmen beruflicher Fortbildung und Umschulung sowie Vorruhestandsregelungen wird sich angesichts der Mittelkürzungen stark vermindern. Derzeit sorgen derartige Maßnahmen allein auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt für eine Entlastung in der Größenordnung von 1,7 Millionen.
BA-Präsident Franke machte kurz vor seiner Pensionierung kein Hehl daraus, daß er den von Bundesarbeitsminister Blüm entgegen den Beschlüssen der BA-Selbstverwaltungsorgane in Kraft gesetzten Haushalt in Höhe von 87,6 Milliarden Mark für nicht ausreichend erachtet. „Der Arbeitsmarkt wird schon ab Frühjahr ein Nachdenken erzwingen, ob der Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen nicht verstärkt werden müßte“, zeigte sich Franke optimistisch über einen Nachtragshaushalt.
Angesichts der spärlicher fließenden Mittel für die Bundesanstalt, der unsicheren Schätzungen für das Wirtschaftswachstum in Ost und Westdeutschland sowie und der unbekannten Anzahl von Aussiedlern und Ausländern, die nach Deutschland kommen, wagte Franke keine genaue Prognose für den Arbeitsmarkt 1993. Er rechnet mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen im Westen von etwa 200.000 oder 300.000 und im Osten von 100.000 bis 150.000. Bernd Siegler
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