: Poetisches Entwurfsverfahren
Das B1 Haus 40 in Steglitz der Berliner Architekten Assmann Salomon und Scheidt ■ Von Martin Kieren
Die klassische Berliner Hausecke – „Typ Berliner Mietshaus“ – hat schon wiederholt Transformationen erfahren. Immer wieder waren Architekten geneigt, ihr ein jeweils neues spezifisches und auf die räumliche Situation bezogenes Gepräge zu geben: mal rund, mal im Negativ nach innen, mal ausgehöhlt, mal scharf gekantet, mal mit Balkon oder Erkern, mal winklig geschnitten. Formwille eben, Architektur. Der Berliner Block, die Parzelle und sein Teil-Haus lassen einen großen Spielraum. Mit der Ecke als Baulücke, also mit der Besetzung einer Kreuzung, eines Stückes Stadtraum, verhält es sich nicht anders; wieder eine Reihe von Möglichkeiten: ein weggebombtes oder sich sonstwie ergebendes Stück Berliner Blockecke läßt sich eben auch auf vielfältigste Weise bebauen.
Mit der Ecke Schloß-/Grunewaldstraße in Steglitz hat es seine eigene Bewandtnis: dort stehen das Rudiment eines Berliner Mietshauses, als „Typ“ alleinstehend auf einem Straßenblock (selten in Berlin) und die „Schwartzsche Villa“ Sie bilden zur Straßenecke hin eine Hohlform, die von einem wunderbaren runden Autopavillon aus den fünfziger Jahren besetzt ist. Dieser Ort markiert den Übergang der Berliner Blockbebauung zur Berliner Villenarchitektur, die sich dahinter erstreckt. Von der Schloßstraße kommend seit Jahren zu sehen: eben die mächtige Brandwand des Mietshauses, unbefriedigend leer. Das ist nun vorbei.
Die jungen Berliner Architekten Assmann Salomon und Scheidt haben 1987 einen Wettbewerb zur Gestaltung/Bebauung dieser Fläche gewonnen; das Haus, das sie vor die Brandwand stellten, ist nun fertig – und was für eines! Sie reagieren erst einmal kühl: sie sammeln das Spezifische des Ortes, also der weiträumigen umstehenden Bebauung, die heftige Bewegung des Verkehrsflusses, die Leere der Ecke.
Man spricht gemeinhin vom Kontext und meint doch die Deformation, die den Orten angetanen Wunden, die Schläge der versagt habenden Stadt- und Verkehrsplaner, die architektonischen Untaten. Aber diese Architekten tun das nur, um ein poetisches Entwurfsverfahren an dieses Sammeln anzuschließen. Sie sammeln und ordnen, sie konzipieren und entwerfen, sie sehen Formen und sie formen. Man sieht förmlich den Spaß bei der Arbeit.
Herausgekommen bei diesem Verfahren ist – in Berlin in der letzten Zeit eher selten geworden, trotz der vielen Bauerei – eine sehr gute, anspruchsvolle, im Detail durchgearbeitete, sehr trockene und doch auch verspielte Architektur. Das Heitere weicht der Strenge nicht – es ist beides versöhnt. Das Trockene: Die Architekten nehmen die Brandwand an diesem Orte ernst, aber transformieren sie mittels Ablösung, Aufschneidung, mittels Vorziehens auf die freie Fläche und mittels Biegung hin zur Schloßstraße. Sie gewinnen: Dynamik, Schirm/Schutz und ein architektonisches Element: die Scheibe, brut. Hinter dieser Scheibe setzen sie ihr Spiel mit der Form fort: ein aus Aluminium und Glas prismierter, in seinen funktionalen und konstruktiven Elementen sich wiederholender Körper (das eigentliche Bürohaus) als flacher, aber hochgestellter Kubus. Zum alten benachbarten Mietshausblock definieren sie die Grenze mittels einer Fuge; und wieder ein Berliner Thema: der Schnitt zwischen dem Typus, die Durchfahrtstraße in den Hof (als Erschließungs-Trasse), das Treppenhaus als Verbindungselement, aber auch als eines, das trennt. Nur wird der Schnitt hier anders geführt, er bleibt als Sequenz bestehen, blitzt zwischen alter und neuer Bebauung auf in seiner Transparenz nur andeutenden Materialität aus Glasbausteinen – ein noch immer unterschätzter Baustoff, der doch soviel Erinnerungen aufheben kann.
Erst auf den zweiten Blick erkennt man die Raffinesse: die freistehende Scheibe, die Verschränkung verschiedener Prinzipien, die Selbstverständlichkeit der Geste: könnte man hier überhaupt etwas anderes bauen? Gibt es Ideallösungen für bestimmte Situationen? Man könnte meinen, daß man es hier mit einer solchen zu tun hat. Zwar: Der Bau ist neu – aber doch auch so berlinerisch: er teilt die Suche mit (als Formfindungsprinzip), ohne vorlaut zu sein; er stellt sich frei in den Weg als Zeichen, als möglicher Ausdruck verhaltener Poesie; er wirkt als angelehnte Scheibe und als bescheidener Solitär – er tradiert und transformiert somit Formen, Spiel und den Typ. Und das alles zusammen zeichnet ihn – als ein möglicher Ansatz neuer Berliner Architektur – vor vielen anderen Neubauten aus: B1 Haus 40, Steglitz.
Die Architektur-Galerie Aedes zeigt diese Bebauung und vier andere Projekte der Gruppe Assmann Salomon und Scheidt noch bis Sonntag, 17.1. in den Räumen am Savignyplatz, S-Bahnbogen 600. Täglich 10 bis 18 Uhr. Besser aber ist: Mit der U-Bahn bis Rathaus Steglitz, aussteigen und hinsehen.
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