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Kubas ökologisches Desaster

Ein Überblick über die ökologischen Brennpunkte der sozialistischen Karibikinsel/ Schuld sind immer die anderen: Die USA, die Spanier.../ Eine öffentliche Diskussion dieser Probleme scheitert an der Angst vor Repression  ■ Aus Havanna Pablo Quiroga*

Über das ökologische Debakel in Kuba gibt es Gerüchte auf der Straße und in den Gängen; aber es gibt keine öffentliche Diskussion, keine Institution oder organisierte gesellschaftliche Kraft, die Einspruch erheben könnte. Die Vorstellungen des Staates – sprich: des Comandante – sind nicht diskutierbar. Das letzte Kapitel der „Eroberung der Natur“ ist in Kuba noch nicht geschrieben. Doch seien im folgenden zumindest einige der gegenwärtigen, so gut verborgen gehaltenen ökologischen Probleme Kubas kurz dargestellt:

– Die großen Nickelverarbeitungsindustrien von Moa im Osten Kubas, die nicht nur mit veralteter sowjetischer Technologie arbeiten und Unmengen von Brennstoff verbrauchen, sondern auch massive Emissionen von mit Staubpartikeln angereichertem Gas ausstoßen. Deutliche Schäden in den umliegenden Wäldern sind die wahrnehmbare Folge.

– Die ebenfalls im Osten der Insel gelegene Bucht von Nipe, in der einst Hunderte von Tonnen von Krabben gefischt wurden, gibt inzwischen keine einzige Tonne mehr her. Dies ist vermutlich die direkte Folge davon, daß die Abfallprodukte der nahegelegenen Minenindustrie einfach in die Bucht geleitet werden.

– Bei allen Kraftwerken Kubas sind die Vorrichtungen zur Behandlung der Abwässer und der Luftemissionen entweder defekt oder völlig außer Betrieb. Selbst bei dem jüngst eingeweihten „Central del Este“-Kraftwerk sind sie bereits außer Betrieb, da die kubanischen und sowjetischen Ingenieure übersahen, daß durch die Nähe zum Meer die Metallteile der Kläranlagen sofort korrodierten.

– Luftverschmutzung und Smog sind in den vom Meereswind durchlüfteten Großstädten Kubas kein sehr großes Problem. Dennoch wird jeder, der an einer Bushaltestelle steht, in ein Bad von Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Staub und Blei getaucht. Hinzu kommen die völlig veralteten und oftmals defekten Industrieanlagen um die Stadt herum, die ihre Emissionen ohne Filter – Filter kosten viel, und sie kosten Dollars! – in die Luft abgeben. Hervorzuheben seien hier nur die Anlagen von Tallapiedra und Crusellas, und die Tausende Menschen in ihrer Umgebung, die an Atemwegserkrankungen leiden.

– Von den 150 Zuckerrohrfabriken des Landes verfügen nur 15, also zehn Prozent, über eine funktionierende Oxidationslagune. Als Folge davon gehen die aggressiven Abfallstoffe der Zuckerproduktion (Maische, Melasse, Melassenschaum) in der Regel einfach in die Umwelt, wo sie immer wieder Fisch- und Austernsterben verursachen. Hier ist anzumerken, daß derartige Oxidationslagunen zwar hochkomplexe Anlagen sein können, aber daß auch bereits sehr einfache, seit Jahrzehnten bekannte Systeme zufriedenstellende Ergebnisse zeigen. Dies erfolgt jedoch nicht, weil die Betriebsleitungen keinerlei Nachteile oder Bestrafungen für ihre Nachlässigkeit zu fürchten haben.

– Die Bucht von Havanna gilt als eine der drei verschmutztesten Buchten der Welt. In sie fließen die Abwässer von zahlreichen Fabriken, die der Schiffe und der Stadt. Schuld daran ist natürlich, wie an allem, die Blockade der USA. Und die Spanier, die, ignorant wie sie waren, just diese Bucht ohne den Zustrom eines Flusses als Hafen für ihre Silber-Schiffe auswählten.

– Die Folgen des sogenannten „Hydraulischen Willens“ („la voluntad hidráulica“), eines großangelegten Programms zum Bau von Staudämmen und Wasserreservoiren im ganzen Land, sind fatal. Unter dem Slogan „Nicht ein Tropfen Wasser darf ins Meer entweichen!“ ist so beispielsweise die Wassermenge des Rio Cauto, des größten Flusses von Kuba, derart gesunken, daß er oft einem kleinen Bächlein gleicht. Dieser Wassermangel des Rio Cauto führt unter anderem dazu, daß in seinem Mündungsgebiet das agrarisch genutzte Land versalzt, während gleichzeitig die Küstenlagunen verlanden. Hierzu trägt auch die fortschreitende Entwaldung der Sierra Maestra sowie die intensive und völlig unangepaßte mechanische Landbewirtschaftung in seinem Becken bei. Das Ausbleiben des nährstoffreichen Wassers in den kubanischen Küstengewässern ist darüber hinaus auch wesentlich mitverantwortlich für den Rückgang des kubanischen Krabbenfangs von rund 5.000 Tonnen im Jahr auf nur noch 3.000 Tonnen.

– Staudämme, deren Bau mit großem Enthusiasmus, aber wenig Verstand vorangetrieben wurde, haben nie Wasser aufstauen können. Zwei von diesen, in den Industriegürteln um Havanna und um Santiago de Cuba gelegen, wirkten sich zudem extrem negativ aus – gleichsam als Trichter, der die Industriegifte – unter anderem mit einem sehr hohen Kupfergehalt – ins Grundwasser lenkt. Und aus diesem Grundwasser wird das Trinkwasser der beiden Großstädte gewonnen.

– Auch die übermäßige Nutzung der Grundwasserreserven für den menschlichen Verbrauch und für die Landwirtschaft haben dazu geführt, daß in etlichen Küstengebieten Salzwasser in das Grundwasser eindringt und die Böden versalzen, wie es beispielsweise in der Provinz Guantanamo oder dem Süden der Provinz Havanna der Fall ist. Von den Reisanbauflächen weisen bereits 50 Prozent Anzeichen von Versalzung auf.

– In den Mangrovenwäldern, die die ganze Insel umgeben, ist ein massives Baumsterben festgestellt worden. Die Mangroven sind für die Ökologie der Küstengewässer von allergrößter Bedeutung: Sie sind ein natürlicher Schutz gegen die Versalzung der Böden in den meernahen Gegenden; ihre Wurzeln halten die im Wasser mitgeschwemmten Sedimente zurück; ihr abfallendes Laub ist ein wichtiger Nährstoff für viele in den Küstengewässern lebende Spezies, ihre Wurzeln oft Schutzstätten und Behausungen. Nördlich der Provinzen Matanzas und Villa Clara sehen große Flächen geschädigter Mangrovenwälder aus, als ob Agent Orange (das im Vietnam- Krieg eingesetzte Entlaubungsgift – d. Red.) zugeschlagen hätte. Verschärft wird diese Situation noch durch den Bau von künstlichen Krabbenzuchtbecken und dem rücksichtslosen Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln – einschließlich des in vielen Ländern bereits verbotenen DDT.

– Planmäßig wird die Mangrovenvernichtung im Süden der Provinz Havanna betrieben. Das paramilitärische Arbeiterkontingent „César Escalante“ ist dort dabei, den „Süd-Damm“ („Dique Sur“) zu bauen. Dieser soll verhindern, daß das Salzwasser des Meeres ins Landesinnere vordringt. Die Schuld für dieses Problem wird dem globalen Phänomen des steigenden Meeresspiegels gegeben; doch ist der 50 Kilometer lange „Dique Sur“ eine weltweit einzigartige Methode, eine von kreolischen Technokraten, die für ihre Fehler nicht zur Verantwortung gezogen werden. Eine riesige Fläche Mangrovenwälder wird mit Bulldozern und Sägen zerstört, und was bleibt, erledigt der Damm: Er wird Salzwasser auf der einen vom Süßwasser auf der anderen Seite trennen – doch Mangroven wachsen nur in Brackwasser; auf beiden Seiten des Dammes werden sie rettunglos zugrunde gehen.

– Das dramatischste Problem, der „kubanische Aralsee“ sozusagen, dürften jedoch die sogenannten „Pedraplenes“ sein: Dies sind Fahrwege auf aufgeschütteten Steindämmen, die über flache Küstengewässer führen und – im Namen der Tourismusförderung – die kubanische Hauptinsel mit den vorgelagerten kleinen Inselchen verbinden sollen. Es gibt solide Erfahrungen über die Auswirkungen, die derartige Bauprojekte, die die Bewegung und den Austausch des Wassers unterbinden, auf die Umwelt haben: Die Wassertemperatur steigt, der Salzgehalt in den „gefangenen“ Gewässern erhöht sich, die Strömung verändert sich, die Nährstoffe werden nicht mehr transportiert, Überschwemmungen können die Folge sein, das ökologische Gleichgewicht wird grundlegend gestört. In einigen Gegenden konnte man bereits körbeweise tote Fische aufsammeln. Dies müßte ein Alarmsignal sein – aber es ist es nicht. Denn alle wissen, daß der flächendeckende Bau dieser „Pedraplenes“ das große neue Ziel in der „Eroberung der Natur“ ist, das sich der Generalverwalter der Insel in den Kopf gesetzt hat.

Soweit ein knapper Überblick über Themen, die zweifelsohne Gegenstand breiter Diskussionen wären – wenn diese ohne Angst vor Repressalien geführt werden könnte.

Der Autor (Name von der Redaktion geändert) ist Kubaner und arbeitet als Naturwissenschaftler in Havanna. Übersetzung aus dem Spanischen: Bert Hoffmann

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