■ Schöner Leben: Der Speierling also!
Der Speierling also! Dieser selten geworden, wenn nicht gar stellenweise ausgestorbene Verwandte der Vogelbeere! Wir hatten uns schon lange gefragt, wer es diese Jahr sein würde. Der „Baum des Jahres 1993“. Ausruferin: die „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald“.
Der Gesamtverband deutscher Vogelwarten proklamiert: die gekröpfte Stelztaube! Die Schmetterlingssammler rufen: der überaus seltene Braunkohlfalter! Der ständige Bulbophilentag hebt die gemeine Erdkröte auf den Schild, und die „Freunde und Förderer der zu Unrecht verachteten Küchenschabe“ haben ohnehin immer nur die eine im Kopf.
Neujahr scheint atavistische Beschützerinstinkte in uns wachzurufen. Keiner kann uns daran hindern, uns „Notgemeinschaft phallus impudicus“ zu nennen und danach zu handeln. Wir werden uns großartig fühlen, und die Weltgeltung via dpa ist uns auch gewiß.
Daß kein Pirol, kein Erdferkel und keine Silberdistel durch ihr Jahr gerettet wurden, muß mit der rein willkürlichen Periode von einem Jahr zu tun haben — kein menschliches Wesen kann 365 Tage lang an einen seltenen Spulwurm denken. Die einzige Rettung, die tatsächlich funktioniert, ist die eines Wortes. Das „Wort des Jahres“ wird allerdings nicht am Totenbett verliehen, sondern in der Wiege. Der Vorstoß des Kuratoriums „Kein schöner Wort“ hat dann regelmäßig einen Eintrag im Duden zur Folge. Das „Wort des Jahres 1992“ lautet natürlich: Asylkompromiß!
Burkhard Straßmann
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