Germans to the front!

■ betr.: "Auf Leben und Tod", Walter Jakobs über Kriegsdienstverweigerung, taz vom 28.12.92

betr.: „Auf Leben und Tod“, Walter Jakobs über Kriegsdienstverweigerung, taz vom 28.12.92

[...] Einem Journalisten mit ehedem linksalternativem Anspruch sollte eigentlich bekannt sein, daß die Welt nicht so einfach ist, wie sie uns tagtäglich in Momentaufnahmen vorgeführt wird: hier Bosnien gut und da Serbien böse. Dies läßt einen erstaunlichen Mangel an Geschichtsbewußtsein und politischer Analyse erkennen. Es läßt eher auf Konfliktverständnis nach Art diverser Hollywoodprodukte schließen: Plötzlich greifen Indianer arme Siedler an und metzeln sie. Nur John Wayne und die Kavallerie können ethnische Säuberungen verhindern. Warum greifen sie nicht endlich ein? Ein Weltbild ohne Vorgeschichte, ohne Nachspiel.

Ein Vergleich, der hinkt? Gewiß. Die Welt ist nicht so einfach, daß die unsägliche Balkan- Gemengelage von alten und neuen Cliquen, vermischt mit US- und EG-Interessen, die menschenverachtend Macht erwerben oder verteidigen wollen, mit dem „Wilden Westen“ zu erklären wäre. Ich frage mich immer wieder, wie Menschen, die nicht dumm sind – wie Walter Jakobs –, in so uralte Fallen tappen. Man braucht nicht die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten 1914 zu bemühen, um die immer wiederkehrende Selbstfunktionalisierung von Menschen, die es eigentlich besser wissen müßten, für Kriegsziele anderer zu beschreiben.

Walter Jakobs' Hinweis auf alliierte Opfer bei der Befreiung Europas von Nazi-Terror ist billig, die Gleichstellung des SS-Staates mit Serbien ungeheuerlich. Man muß die Belgrader Militaristenclique nicht mögen, um hier gewaltig zu differenzieren. Eins haben jedoch beide, ja beinahe alle Kriege gemeinsam: sie hätten im Vorfeld verhindert werden können. Wer hat denn 1934 der Wiederbewaffnung Nazi-Deutschlands, der Rheinland-Militarisierung, Annexion Österreichs usw. tatenlos zugesehen? Fast alle, weil sie der Ansicht waren, hiervon zu profitieren. Mitverantwortung für das Gemetzel auf dem Balkan haben die ach so großen „europäischen“ PolitikerInnen, die nationalistischen Eliten in Slowenien, Bosnien, Kroatien und sonstwo Vorteile, Anerkennung, gar Aufnahme in die EG bei Abfall in Aussicht stellten, ohne dies zumindest an Minimalbedingungen der Friedenserhaltung zu knüpfen. Ein wirksames Embargo wurde und wird nicht versucht, denn daran verdient niemand, bei Militärintervention zumindest einige, wie auch der Golfkrieg lehrt.

Gern wird bedauernd erwähnt, Ex-Jugoslawien verfüge über kein Öl, sonst wäre eine Intervention schon lange erfolgt. Dies dient oft als Begründung, um „rein humanitäre Interessen“ von EG und Nato dort vorzugaukeln. Dabei wird übersehen: Durchs gebeutelte Land laufen die nun unterbrochenen Rollbahnen und Stromtrassen der EG nach Südosteuropa. Kein wirtschaftliches Interesse?

Ich will nicht so zynisch sein und Walter Jakobs empfehlen, doch als Frontberichterstatter nach Bosnien zu verschwinden. Ich würde ihm aber sehr übelnehmen, eines Tages aus seiner Feder eine Beschreibung des Entsetzens der Angehörigen zu lesen, wenn die ersten Zinksärge der „Nicht-Drückeberger“ zurückkommen und dann zu resümieren: Das haben wir aber nicht gewollt! Wolfgang Kühr, Essen