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Europas Marionettentheater

Rund um die EG-Kommission tummeln sich Tausende von Lobbyisten/ Wer nicht rechtzeitig interveniert, hat selbst Schuld/ Teil 10 der taz-Serie zum EG-Binnenmarkt  ■ Von Erwin Single

Es gibt Menschen, die ihren Erfolg darin sehen, anderen irgend etwas gegen Bezahlung anzudrehen. Doch was wären diese Geschäftsleute schon ohne echte Einflußnahme auf die Regierungsapparate? Wer den Ton angibt, macht schließlich die Musik, das wissen Apotheker und Autohändler genauso gut wie Schweinezüchter, Mittelständler oder Industriekapitäne. Also sind alle dort vertreten, wo die hohe Politik spielt und die Fäden gezogen werden.

Ein Ort, an dem es besonders lohnt, ständig präsent zu sein, ist die Europa-Zentrale in Brüssel. Gekonntes Lobbying in der Hauptstadt der Eurokraten zahlt sich nämlich doppelt aus – über die dortige Bürokratie läuft nicht nur der Zugang zu allen Subventionspfründen; mit Taktik, Geschick und persönlichen Verbindungen kann hier noch der europäischen Verordnungsdschungel beeinflußt werden. Wer da nicht mitmischt, hat schon verloren. Wen wundert es also, daß sich um die EG-Kommission herum Tausende Lobbyisten tummeln? Ob Tafelwasserhersteller oder Spielzeugindustrie, ob Automatenwirtschaft oder Zuckerrübenerzeuger – kein noch so winziger Verband will es versäumen, rechtzeitig für seine Interessen an der richtigen Stelle zu intervenieren. Zahlreiche Verbände haben bereits ihre Bonner Vertretungen ausgedünnt oder komplett nach Brüssel verlegt.

Für die Abgesandten ist es allerdings kein leichtes Busineß, das sie vor Ort in unmittelbarer Nähe zur EG-Kommission zu betreiben haben. Scharen von Bauernführern, Industriebotschaftern, Branchenvertretern, Firmenadvokaten, Staatsrepräsentanten und sogar Konsulen der deutschen Bundesländer bemühen sich tagtäglich darum, in Kontakt zu den Kommissaren oder zumindest zu einem ihrer einflußreicheren Mitarbeiter zu kommen. Dabei müssen sie schon ab und zu ihre Beziehungen spielen lassen, um hohe Mitglieder der Euro-Bürokratie in Audienzen, bei Arbeitsessen oder auf gesellschaftlichen Anlässen über neue Vorhaben auszuhorchen oder von ihren ureigensten Anliegen überzeugen zu können. Um Kontakte zu pflegen und neue Liaisons zu knüpfen, werden großzügige Präsente verteilt, Einladungen ausgesprochen oder Informationsreisen organisiert. Und wenn nicht gerade Begegnungen oder Empfänge anstehen, gilt es, Informationen zusammenzutragen, Papiere zu schreiben, Vorlagen zu redigieren oder seitenlange Berichte in die Heimat zu faxen. Daß für die Einflußnahme keine Kosten gescheut werden, zeigen die über tausend Niederlassungen, die sich in Brüssel angesiedelt haben. Mehr als 8.000 Mitarbeiter, so wird geschätzt, rücken der Euro-Bürokratie auf den Pelz – angesichts der rund 5.000 Kommissions-Experten kein schlechtes Verhältnis.

Daß ein unermüdlicher Einsatz der Lobbyisten durchaus von Erfolg gekrönt sein kann, dafür gibt es genügend Beispiele. So konnte der allmächtige Europäische Rat der Verbände der Chemischen Industrie (Cefic) in einhelliger Allianz mit den nationalen Chemieverbänden und den ebenfalls in Brüssel repräsentierten Chemiegiganten die geplante Kohlendioxid- Abgabe blockieren. Die Vereinigung der europäischen Plastikproduzenten hat die EG-Kommission davon überzeugt, daß harte Verpackungsgesetze dem Handel mehr schaden als nutzen, und auch der Dachverband der europäischen Autoindustrie fand genügend Fürsprecher, angesichts der drohenden Branchenkrise zunächst auf schärfere Schadstoffregeln, Straßengebühren und höhere Einfuhrqoten für außerhalb Europas produzierte Fahrzeuge zu verzichten. Die europäischen Chip- Produzenten, den Verlust ihrer Konkurrenzfähigkeit beschwörend, dürfen genauso auf Forschungsgelder für die Massenspeicherentwicklung pochen wie die Flugzeugindustrie auf eine hochsubventionierte Industriepolitik. Selbst über die Altlast Stahlindustrie hält, dank guter Lobbyarbeit, die EG-Kommission schützend ihre Hand. Am mächtigsten und erfolgreichsten jedoch ist die Bauernlobby: sie durfte für ihre Klientel, die europäische Agrarindustrie, die Hälfte des gesamten EG- Etats in Höhe von rund 64 Milliarden Ecu in Anspruch nehmen.

Aber auch für die großen europäischen Konzerne, allesamt in Brüssel mit repräsentativen Niederlassungen vertreten, lohnt sich das Klinkenputzen: so konnte etwa Mercedes eine 40 Millionen Mark schwere Regionalbeihilfe für sein Bremer Werk herausholen, Volkswagen eine Finanzspritze für die Produktionstätte im sächsischen Mosel einheimsen und Fiat für einen Neubau im süditalienischen Mezzogiorno abkassieren.

Um den Unternehmen gute Bedingungen zu verschaffen, scheut auch die Union der Europäischen Arbeitgeberverbände (Unice) weder Aufwand noch Mühe. Die Forderungen der Unice haben das Binnenmarkt-Projekt maßgeblich mitgeprägt. Wie sagte doch der Unice-Generalsekretär Zygmunt Tyszkiewicz so schön? „Es geht darum, im Geschäft zu bleiben.“

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