: Der heutige Antrittsbesuch des UN-Generalsekretärs in Bonn ist nicht spannungs- frei; man mag sich nicht besonders, doch man braucht sich – Ghali das Bonner Geld für die defizitäre UNO, die Bundesregierung Ghali als Kronzeugen für die Notwen- digkeit künftiger Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr. Von Andreas Zumach
Ghali und die Deutschen: Freunde wider Willen
Eigentlich hält Butros Butros Ghali nicht viel von den Deutschen. Ein Besuch am Rhein stand lange Zeit weit unten auf seiner Prioritätenliste. Doch kann sich der UNO-Generalsekretär auf Dauer nicht leisten, die wirtschaftsstarke und zumindest in Westeuropa politisch dominante Mittelmacht Bundesrepublik einfach links liegen zu lassen. Deswegen ließ er sich jetzt nach immerhin einjähriger Amtszeit schließlich widerstrebend zum ersten Trip an den Rhein überreden. Butros Ghali braucht vor allem Bonns finanzielle Unterstützung für die Weltorganisation, die zum Jahrsende 92 wegen zahlungssäumiger Mitgliedssländer ein Rekorddefizit von über 1,5 Millarden US-Dollar aufwies und deren Aufgaben immer umfangreicher und kostenträchtiger werden.
Wenig hält der Generalsekretär jedoch von einem größeren Gewicht der Bundesrepublik in der Weltorganisation oder verstärkter deutscher Personalpräsenz in den höheren UNO-Etagen. Im kleinen Kreis macht der ehemalige Außenminister Ägyptens auch gar keinen Hehl aus seiner Haltung, die Bonns UNO-Botschafter in New York Graf von Ranzau in den letzten zwölf Monaten schon mehrfach zu spüren bekam. Im Unterschied etwa zu Franzosen und Briten seien die weltpolitischen Erfahrungen und diplomatischen Künste der Bonner Politikerkaste unterentwickelt, ihre internationale Politik auf die Verfolgung eng definierter Nationalinteressen beschränkt.
Zu dieser Einschätzung Butros Ghalis trägt sicher sein Eindruck bei, den viele Beobachter etwa des UNO-Sitzes Genf teilen: im Unterschied zu anderen Regierungen schickt die Bonner Koalition nicht gerade ihre besten Diplomaten und Experten in ihre UNO-Vertretungen. Bonns derzeitiger Botschafter bei der UNO-Abrüstungskonferenz, von Wagner, unter dessen geschickter Verhandlungsführung im letzten Jahr endlich das Chemiewaffenabkommen fertiggestellt wurde, ist da eine seltene Ausnahme.
Vorläufig wenig Chancen auf Umsetzung hat denn auch die 1992 im Bundesaußenministerium erstellte Liste mit höheren und mittleren UNO-Posten, die die Bundesregierung nach der mit der Vereinigung erlangten „vollen Souveränität“ nun für Deutsche beanspruchen möchte – nach einer im Vergleich zu Frankreich, Großbritannien, aber auch kleineren europäischen Staaten deutlichen personalpolitischen Zurückhaltung in den 18 Jahren seit dem UNO-Beitritt 1974.
Und daß Ghali seine personalpolitischen Vorstellungen selbst bis auf die Ebene des mittleren UNO-Managements durchzusezten gedenkt, hat er erst Mitte Dezember mit einer Personalwahl gezeigt, die überall in den UNO-Korridoren auf völliges Unverständnis und scharfe kritik gestoßen ist – und nebenbei (Zufall?) auf Kosten der Deutschen ging. Zum neuen Direktor der Informationsabteilung (DPI) am UNO-Sitz Wien berief Ghali ausgerechnet Budimir Loncar, letzter Außenminister der jugoslawischen Föderation und mit 67 Jahren schon längst jenseits des für UNO-Beamte gültigen Pensionsalters von 60. Während der jugoserbischen Kriege gegen Slowenien und Kroatien spielte Loncar bis zu seiner Abberufung im Dezember 1991 die wichtige, auf Zeitgewinn für Belgrad ausgerichtete Rolle eines Beschwichtigers westlicher Regierungen. Erfolgreich täuschte er die EG-Außenminister und deren damaligen Jugoslawienvermittler Carrington monatelang über den wahren Charakter des angeblichen „Bruderkrieges“. Ein „Meister der Desinformation“, ebensogut könne die Informationsabteilung auch gleich dichtgemacht werden und die UNO viel Geld einsparen, schrieben am Wiener UNO-Sitz akkreditierte Journalisten, nachdem der ehemalige ägyptische Außenminister Butros Ghali den wohldotierten Direktorsposten Loncar zugeschanzt hatte, einem alten Freund aus den großen Tagen der Blockfreien-Bewegung. „Butros Ghali vergißt seine Freunde nie“, kommentierte Gamil-Atia Ibrahim, Genfer Korrespondent von Radio Kairo den Vorgang.
Erfolgreiche Trickserei bei Stellenbesetzung
Dem Generalsekretär selber war es spürbar unangenehm, als er auf seiner Genfer Jahresabschlußpressekonferenz am 30. Dezember gefragt wurde, welche Qualitäten Loncar für den Wiener Posten denn mitgebracht habe: „Die Bürger jedes UNO-Mitgliedsstaates haben unterschiedslos gleiche Rechte, bei der Besetzung von Stellen berücksichtigt zu werden, ganz unabhängig davon, ob Staat A gerade Krieg gegen Staat B führt oder nicht“, gab er zur Antwort. Die Regierungen der UNO-Mitgliedsstaaten scheinen sich mit dieser dünnen Erklärung für eine skandalöse Entscheidung, die zum Schaden der UNO ist, zufrieden zu geben. Auch die Bundesregierung, obwohl sie im Zusammenhang mit der Wiener Stellenbesetzung von Ghali schlicht belogen wurde.
Da die Hauptaufgabe der Wiener Informationsabteilung die Versorgung der deutschsprachigen Länder Europas mit Informationen über die UNO ist, wurde der Posten seit Gründung des dortigen UNO-Sitzes immer mit einem Deutschen oder einem Österreicher besetzt. Der Generalssekretär folgte dabei jeweils dem Personalvorschlag des Außenministeriums in Bonn bzw. in Wien. Doch als der bisherige Stelleninhaber, der deutsche Diplomat Herbert Honsowitz, nach Bonn zurückversetzt wurde, bat das Büro Ghalis die Regierungen in Bonn und Wien, diesmal auf einen Personalvorschlag zu verzichten. Es gebe in den zahlreichen Büros der UNO-Informationsstrukturen derzeit Deutsche und Österreicher, deren Beförderung seit langer Zeit überfällig sei und die nun zunächst berücksichtigt werden müßten. Konkret im Gespräch waren der in Genf tätige Deutsche Hans Lassen und der zur Zeit im Athener UNO-Verbindungsbüro beschäftigte Österreicher Axel Weingarten. Beide erfuhren kurz vor Silvester aus der Zeitung von der Berufung des Jugoslawen Loncar.
Doch Außenminister Kinkel dürfte diesen für Ghali peinlichen Vorgang während dessen Bonner Anwesenheit kaum zur Sprache bringen. Denn das überragende Interesse der Bundesregierung ist bereits seit geraumer Zeit die Instrumentalisierung des UNO-Generalsekretärs für die innenpolitische Debatte um „out-of-area“-Einsätze der Bundeswehr. In seinen drei Bonner Besuchstagen soll Ghali den Kronzeugen spielen für die Notwendigkeit, deutschen Soldaten künftig die Teilnahme zumindest an UNO-Einsätzen aller Art („friedenserhaltend“ und „friedenserzwingend“) zu ermöglichen. Dem UNO-Generalsekretär und seinen Mitarbeitern ist dies eigentlich lästig.
Schon seit geraumer Zeit fällt ihnen auf, daß Ghali in der Bundesrepublik nur noch mit Äußerungen zu diesem Thema ernsthaft Beachtung findet. So etwa in seinem Spiegel-Interview Anfang Dezember, in dem sich der Generalsekretär ausführlich zu vielen Problemen der Weltorganisation, ihrer katastrophalen Finanzlage sowie zu seinen Reformvorstellungen äußerte. In Deutschland rezipiert und von anderen Medien wiedergegeben wurde jedoch fast ausschließlich ein eher allgemein gehaltener Satz aus dem Spiegel-Interview, in dem Ghali die Bereitstellung deutscher Soldaten für UNO-Einsätze begrüßte.
Dennoch wird er bei seinen Begegnungen mit Mitgliedern von Regierung und Bundestag ähnliche Sätze wie den im Spiegel-Interview vor allem im Blick auf die von Bonn geplante Entsendung von 1.500 Soldaten nach Somalia von sich geben. Notgedrungen. Nicht weil der Generalsekretär eine Beiteiligung deutscher Soldaten an UNO-Kontingenten für unbedingt notwendig hielte – etwa weil keine Soldaten aus anderen Ländern mehr zur Verfügung ständen –, sondern weil er weiß, daß er mit Unterstützung in anderer Form aus Bonn sonst nicht rechnen kann. Zum Beispiel mit einer Aufstockung des bundesdeutschen Festanteils am regulären UNO- Haushalt sowie am Budget für Friedensmissionen von 8,9 Prozent um ein Drittel. Mit diesem Geld könnte der Generalsekretär dann die Einsätze von Soldaten aus anderen Staaten finanzieren.
Keine konkreten Zusagen kann die Bundesregierung vom Besuch Ghalis hinsichtlich anderer Wünsche erwarten. Der ohnehin starke Widerstand gegen eine Verlegung von UNO-Organisationen an den Rhein ist vor allem in Genf, wo fast alle Sonderorganisationen ihren Sitz haben, nach den zahlreichen Anschlägen auf Ausländer noch gestiegen.
Der gegen den Rat seiner Mitarbeiter erfolgte Vorstoß Kinkels für einen Bonner Sitz im Sicherheitsrat ließ bei Ghali einen eher stümperhaften Eindruck vom deutschen Außenminister zurück. Das richtige Paket von Neumitgliedern, die künftige Abstufung zwischen ständigen und rotierenden Mitgliedern und natürlich der Umgang mit dem Vetorecht der fünf Atommächte – das alles sind höchst konplizierte Fragen, für die, wenn überhaupt, erst in vielen Jahren eine Lösung gefunden werden könne.
Der Status quo ist auch für den Generalsekretär – bei all seiner Kritik etwa an der Dominanz der drei Westmächte USA, Frankreich und Großbritannien – doch immer noch das kleinere, kalkulierbarere Übel.
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