: 2.000 Wohnungen für "Notstandsfälle"
■ Interdisziplinäre Studie zur "sozialen Wohnraumversorgung" kritisiert Berliner Wohnungspolitik / Gefordert werden größere Belegungsrechte für die Kommunen / Bislang wird auf Neubauten gesetzt
Berlin. Die von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) als strukturelles Problem bezeichnete Wohnungsnot, mit der Berlin seiner Meinung nach leben muß, nimmt nicht nur immer drastischere Ausmaße an, sie kommt den Landeshaushalt auch teuer zu stehen. Allein die Unterbringung von 3.500 Obdachlosen in privaten „Läusepensionen“ kostet jährlich 100 Millionen Mark. Bei einem Fehlbestand von 100.000 Wohnungen allein in Westberlin und einem geschätzten Bevölkerungszuwachs von 50.000 Personen jährlich „wird die Schere zwischen Wohnungsangebot und -nachfrage auf absehbare Zeit nicht zu schließen sein“. Dies ist das Ergebnis einer Arbeitsgruppe unter Federführung des Schöneberger Wohnungsamtes, die in einer Studie mehr kommunale Rechte zur Bekämpfung der Wohnungsnot fordert.
Die Vergabepraxis der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die weder transparent noch von sozialen Kriterien geleitet sei, führe dazu, daß die Versorgung etwa von Haftentlassenen, Kranken oder Frauen aus Frauenhäusern nahezu unmöglich sei. Dies sei auch eine Folge davon, daß Wohnungspolitik in Berlin vorrangig als Neubaupolitik verstanden werde, eine soziale Komponente aber fehle. Der rot-grüne Senat hatte 1990 auf die Belegungsrechte für Sozialwohnungen zugunsten eines „Kooperationsvertrags“ mit den Wohnungsbaugesellschaften verzichtet. Demnach sollten jährlich 3.500 Wohnungen an „Dringlichkeitsfälle“ vermietet werden. Der Haken dabei: Die Gesellschaften definieren selbst, was dringlich ist, Einflußmöglichkeiten der Sozialämter oder sozialen Träger gibt es nicht. Gefordert wird nun eine vom Senat abgesicherte Kooperation mit den Wohnungsbaugesellschaften, die eine Versorgung der von den Sozialämtern benannten Notfälle möglich mache. Verwiesen wird dabei unter anderem auf Erfahrungen in Köln. Dort verpflichten sich die Wohnungseigentümer, neben vertraglich vereinbarten Belegungsbindungen auch in Häusern mit sogenannten „Gewährleistungsverträgen“ ausschließlich an von der Kommune benannte Mieter zu vermieten. Die Kosten stünden neben anderen präventiven Maßnahmen wie Übernahme von Mietzahlungen und -schulden durch die Sozialämter gegenüber der späteren Unterbringung von Obdachlosen in einem Verhältnis von eins zu sieben.
Unterdessen steht die Vereinbarung über ein „geschütztes Marktsegment“ von 2.000 Wohnungen, aus dem ausschließlich Notstandsfälle versorgt werden sollen, offenbar kurz vor dem Abschluß. Offen ist allerdings noch die Frage, wer letztlich über den Zuschlag entscheidet. Die Wohnungsbaugesellschaften wollen sich die „Belegungskompetenz“ jedenfalls nicht aus der Hand nehmen lassen, sagte der Vertreter des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, Bohleber, auf einem Hearing am Montag. Aufgabe der Gesellschaften sei auch, soziale Brennpunkte nicht zu verschärfen. Uwe Rada
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