Brodowin wird Ökodorf

■ Ein uckermärkisches Dorf wagt den Salto von der Agrochemie zum Bio-Landbau

Die Zeiten haben sich geändert, seit Theodor Fontane den „Pehlitzer Werder“ beschrieb. Das in den Parsteiner See ragende Halbinselchen steht inzwischen unter Bodendenkmalschutz. Und in dem restaurierten „Haus Pehlitzwerder“ macht sich der Ökoverein Brodowin daran, ein ambitioniertes Projekt vorzustellen: das 400 Einwohner zählende Dorf wagt den Sprung aus dem DDR-Mittelalter und will „Ökodorf“ werden.

Naturnaher Tourismus steht im Öko-Konzept der Brodowiner Dorfväter. Es gibt detaillierte Planungen für den Landschafts- und den Umweltschutz. An der zentralen brandenburgischen Dorferneuerung soll das idyllische Brodowin teilnehmen, das eine große Reiseversicherung zum „Europa- Dorf 1992“ ernannte. Herzstück des Ökodorfes aber soll die Agrargenossenschaft sein. Die hat sich „auf die Fahnen geschrieben, biologischen Landbau zu betreiben“.

So sagt es der Bürgermeister, Wolfgang Winckelmann, und er weiß, daß er und ein Dutzend Mitstreiter sich Anspruchsvolles vorgenommen haben. „Wir sind noch kein Ökodorf“, sagt der 34jährige, „und ob wir es in zehn oder 15 Jahren sind, das steht in den Sternen.“

Im ölverschmierten Blaumann sitzt Bürgermeister Winckelmann im Rat der Gemeinde. Hinter ihm ein Regal, in dem Brdowins Ämter bequem in je einen Leitz-Ordner passen. „Wer hatte hier denn von biologisch-dynamischer Lebensweise oder nur von Umweltschutz eine Ahnung?“ fragt Winckelmann. „Riesige Aufklärungsarbeit“ sei in Brodowin zu leisten. Manch einer im Dorf will wohl anderes als sanften Tourismus, einen verkehrsberuhigten Dorfanger und Demeter-Produkte.

Brodowin liegt umgeben von einer reizvollen, kuppigen Landschaft, in die sich kleine Seen schmiegen. Die Gegend gehört zur „Schorfheide Chorin“, dem nach dem Wattenmeer zweitgrößten Biosphärenreservat in Deutschland. Ohne die „Pflanzenproduktion Lüdersdorf“ und die „Tierproduktion Brodowin“ ist der Ort nicht denkbar.

Nach der Wende vereinigten sich die beiden Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zu einer „Agrargenossenschaft Ökodorf“ und begannen nach den Demeter-Richtlinien des biologisch-dynamischen Landbaus zu arbeiten. Einen geschlossenen Stoffkreislauf will die Ex-LPG nun praktizieren. Natürlich gedüngter Boden soll das Futter für glückliche Kühe abwerfen. Nicht mehr in der Gülle sollen sie stehen wie zu DDR-Zeiten, sondern hinaus dürfen auf die Weiden wie damals, als der alte Fontane den Pehlitzer Werder als „Koppel- und Grasplatz für den Amtshof“ beschrieb; das Herz würde ihm springen.

Statt Pestiziden und Herbiziden im Hektolitermaßstab setzt nun Graf Fink von Finkenstein in Holzbottichen Hornmist nach den undurchschaubaren Regeln des Anthroposophiebegründers Rudolph Steiner an. Krasser geht es kaum. Brodowin hat zum Salto in seiner landwirtschaftlichen Produktionsweise angesetzt. An Deutschen Demokratischen Tagen wurde hier in allen Belangen geklotzt. Auf dem Betriebsgelände steht eine gut 100 Meter lange Halle nur für Kartoffeln. Die Sortiermaschine trägt den Namen Fortschritt. Aber die Traktoren auf dem Hof „verlieren mehr Öl, als sie Sprit verbrauchen“, verrät einer der Landwirte.

„Ich hatte früher viel mit Agrochemie zu tun“, erklärt verlegen der Vorsitzende der Agrargenossenschaft, der Agrarchemieingenieur Peter Krentz. Nun spricht er von der „in sich geschlossenen Fruchtfolge“ und der artgerechten Tierhaltung, die der Betrieb anstrebe. „Das waren doch alles böhmische Dörfer für uns, diese ökologischen Anbaumethoden“, und manchmal seien sie es immer noch. „Absoluter Knackpunkt für einen so großen Öko-Betrieb“, klagt Krentz, sei die Vermarktung. Da geben die 50 Tonnen Roggen, die eine Großbäckerei 1992 auf einen Schlag kaufte, dem 32jährigen Hoffnung. Er hat einen verantwortungsvollen Job übernommen. Mit ihm schuften und bangen drei Dutzend gleichaltriger Kollegen für die Zukunft der Brodowiner Landwirtschaft.

Während die Brodowiner Bevölkerung eher verhalten reagiert, wirbt eine gutinformierte Crew für das Projekt Ökodorf. Ein ehemaliger Umweltjournalist koordiniert. Der Dorfpfarrer Rau engagiert sich und der weit über Brodowin hinaus bekannte Schriftsteller Reimar Gilsenbach. Ein dem Sachverständigenrat von Bundesumweltminister Klaus Töpfer angehörender Professor berät auch Brodowin, an der Technischen Universität Berlin haben sich LandschaftsplanerInnen Brodowin zum Modellprojekt erkoren.

Die Geister scheiden sich an einem Berliner Wohnungsbauunternehmer, der in die biodynamische Landwirtschaft investiert. Im Dorf und unter den TU-StudentInnen schwirren Gerüchte über „den Miethai“ und „Investor an 85 Brandenburger Objekten“. Alles Quatsch, weist Werner Upmeyer zurück. Er habe bislang einen gemeinnützigen Verein zum Wiederaufbau der Potsdamer Friedenskirche gegründet, sonst nichts. Seine Frau und er ernähren sich mit Vollwertkost. „Wir wollten die Brodowiner einfach aus unserer Lebensweise heraus bestärken“, sagt Gisela Upmeyer. „Verdienen kann man dabei nichts.“ Der „Profitgeier“ als guter Mensch von Brodowin. Christian Füller