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"Rassenwahn der Nazis war hilfreich"

■ Für die Approbation muß Staatsangehörigkeit nachgewiesen werden / Oft dienten Wehrpässe aus der Nazizeit als nachweis / Seit einigen Wochen werden Personalausweis oder Reisepaß akzeptiert

Berlin. In Berlin und den meisten anderen Bundesländern wird der Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit mit Hilfe von Dokumenten aus der Nazi-Zeit geführt. Beamte etwa ermuntern angehende MedizinerInnen immer wieder augenzwinkernd, ihre deutsche Nationalität mit Hilfe des Wehrpasses ihres Großvaters zu belegen. Der Staatsangehörigkeitsnachweis gehört zur Approbation, der amtlichen Zulassung zum Arztberuf.

„Da hat sich der Rassenwahn der Nazis als hilfreich erwiesen“, sagte ein Beamter des Innensenators. Das Verfahren vereinfache den oft umständlichen Rückgriff auf die Geburts- oder Heiratsurkunden der Väter und Großväter. Diese Praxis liegt begründet in der blutrechtlichen Definition der deutschen Staatsangehörigkeit in Artikel 116 des Grundgesetzes.

Die Heilpraktikerin Kathrin Meier (Name von der Redaktion geändert) ging zur Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin, um ihre deutsche Nationalität zu belegen. Die bescheinigte, daß ihr Vater bei der Wehrmacht gewesen sei. Damit waren alle Zweifel ausgeräumt. „Ich habe nachweisen können, daß ich, ja: arisch bin“, sagte Kathrin Meier.

Gesetzliche Grundlage für dieses Verfahren ist die Approbationsordnung für Ärzte. Darin ist als eine Voraussetzung für die Approbation „ein Nachweis über die Staatsangehörigkeit des Antragstellers“ aufgeführt. Die Vorlage eines Personalausweises genügt dafür nicht. Üblicherweise wird der Nachweis über zwei Generationen gefordert. Dies bedeutet übrigens nicht, daß Ausländer vom Arztberuf ausgeschlossen sind. Schon seit 1977 können laut Bundesärzteordnung auch EG- und staatenlose Ausländer die Approbation beantragen. Aber der deutsche Staatsangehörigkeitsnachweis wird penibel geführt.

Das Verfahren habe damit zu tun, „daß man die Staatsangehörigkeit erwirbt durch Abstammung von deutschen Eltern.“ So erläutert es Günter Britz, Leiter des Staatsangehörigkeitsreferats in der Berliner Innenverwaltung. Oft gab es Probleme, weil die Antragsteller Geburts- oder Heiratsurkunden nicht beibringen konnten. „Wenn es den Betroffenen dient“, sagte Günter Britz, hätte die Staatsangehörigkeitsbehörde dann auch auf Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückgegriffen. Dies seien „weithin wertneutrale“ Unterlagen und an sich nicht unglaubwürdig. „Man muß keinen Ariernachweis führen“, so Günter Britz.

Der Nachweis über zwei Generationen sorgte bei den AntragstellerInnen für manche Komplikationen und erhebliche Unsicherheit. Thomas Boeckel etwa hat vor fünf Monaten den Antrag auf Approbation gestellt, und er ist sich ihrer eigentlich sicher. Aber der Kinderarzt im Praktikum stammt ursprünglich aus dem Elsaß. Sein Großvater, Jules Boeckel, wurde in der Region geboren, um die sich Frankreich und Deutschland so lange stritten. „Es wäre ein Skandal, wenn ich die Approbation nicht bekomme.“ Der in Hamburg geborene Thomas Jules Boeckel findet es „schwachsinnig, daß man sein Deutschsein über zwei Generationen nachweisen muß“. Schließlich bekämen ja auch Ausländer die Approbation.

Veränderungen dieser Praxis deuten sich immerhin an. Der Gesundheitssenator akzeptiert seit einigen Wochen den Personalausweis oder den Reisepaß als Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit. „Uns ging es um eine Vereinfachung“, erläutert Oberamtsrat Klaus Kröger. Der Nachweis sei oftmals umständlich zu führen, und es habe AntragstellerInnen gegeben, „die sich ja auch schon darüber beschwerten“. Auch Berlin schließt sich damit der Praxis anderer Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Hessen an. „Nur in Zweifelsfällen“ ist in Zukunft die deutsche Staatsangehörigkeit über zwei Generationen nachzuweisen. „Wir nehmen damit in Kauf“, so Klaus Kröger, „daß Fälle dabei sind, wo die deutsche Staatsangehörigkeit nicht vorlag.“

Doch auch die Zweifelsfälle werden sich in Zukunft in der Innenbehörde oder bei den bezirklichen Standesämtern diesen „guten Ratschlag“ anhören müssen: „Bringen Sie den Wehrpaß. Der Einfachheit halber.“ Christian Füller

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