■ Ökolumne
: Der Coup der Müllverbrenner Von Otmar Wassermann

Überall im Lande stemmen sich Ärztinnen und Ärzte gegen jede weitere Luftverschmutzung. Sie wollen ihre Mitmenschen schützen – damit sie nicht zu Patienten oder als Patienten nicht noch kränker werden. Das ist „präventive Medizin“, die sich nicht mit nachhinkendem Reparaturdenken abfinden will. Den Müllverbrennern und ihren professoralen Handlangern ist dieser Aufstand der integren Gesundheitswächter aber schon lange widerwärtig – weil er ihre Geschäfte stört.

Rechtzeitig vor der Beratung der TA Siedlungsbefall im Bundesrat, durch die die Müllverbrennung als einzig mögliche Entsorgungsform dem Volke zwangsverordnet werden soll (eine Art verkapptes „Ermächtigungsgesetz“, üblich sonst in Diktaturen) und die somit den auf Müllverbrennung scharfen Energieriesen horrende Gewinne zuschanzt, hat ein selbsternannter „Beirat“ die Bundesärztekammer mißbraucht. Letztere beklagt ausgesprochen bitter, daß „durch Indiskretion“ im Oktober 1992 der Entwurf eines Freibriefes für die Müllverbrennung schon öffentlich bekannt wurde. In dem Papier werden sämtliche Risiken der Müllverbrennung ignoriert oder verharmlost.

In dem Beirat sitzen ausschließlich seit langem bekannte Lobbyisten der Dioxin-Produzenten, zu denen neben den Müllverbrennern auch die Chemische Industrie u.a. zählt. In deren Interesse werden diese Experten nicht müde, seit Jahren eine möglichst hohe Dioxin-Belastung der Bevölkerung als „unschädlich“ zu propagieren. Es sind dies vor allem die Herren Schlipköter, Greim, Neubert, Schlatter, Lehnert und Schiele. Als Kugelfang gebrauchten sie ein paar andere, von denen sich der Bremer Staatsrat Lahl rechtzeitig abseilte. Danke, Uwe.

Deutschland gehört zu den am stärksten Schadstoff-belasteten Ländern. Die zunehmenden Allergien und Atemwegserkrankungen werden ebenso heruntergespielt wie die Zunahme von Krebserkrankungen. Der enorme CO2- Ausstoß durch Müllverbrennung wird verschwiegen. Bei keiner Anlage werden kontinuierlich und zuverlässig das Verbrennungsgut und die komplexen, ständig variierenden Emissionen umfassend überwacht. Wie gefährlich das inhalierte Schadstoffgemisch ist, bleibt weiter unerforscht. Störfälle sind anscheinend „verboten“. Eine verläßliche toxikologische Bewertung ist auf diese Weise unmöglich.

Der Freibrief des „Beirats“ der Bundesärztekammer soll die Öffentlichkeit täuschen. Er gaukelt vor, daß die „gesamte Ärzteschaft“ und „alle Toxikologen“ die Müllverbrennung als unbedenklich empfehlen. Von allen kenntnis- und verantwortungslosen, pyromanen Bürgermeistern und Landräten im Lande wird dieses Papier künftig den kritischeren ÄrztInnen hämisch als „Obergutachten“ vorgehalten werden, wenn sie sich zusammen mit der gegen Müllverbrennung aufgebrachten Bevölkerung gegen Luftverschmutzung und Verschwendung von Ressourcen wehren.

Im krassen Gegensatz zu noch geltendem Recht, das der Vermeidung und Wiederverwendung von Abfall höchste Priorität gibt, lassen es die Bundesärztekammer und ihr Beirat hierzu mit vagen Lippenbekenntnissen in „Vorworten“ und „Präambeln“ bewenden. Die Vorbereitung der Veröffentlichung fand während der Weihnachtszeit statt. Gegen das eindeutige Votum des Deutschen Ärztetages und gegen den erklärten Willen der Umweltausschüsse der Landesärztekammern und der Bundesärztekammer und gegen den energischen Protest der Ärzteschaft wurde der Text am 11.1.1993 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. Damit hat die Bundesärztekammer in eklatanter Weise gegen ihr Mandat (= Auftrag!) verstoßen – übrigens im Wiederholungsfalle: der Präsident der Bundesärztekammer hat schon einmal, kurz nach Tschernobyl, als willfähriger Büttel der Atomwirtschaft in deren ganzseitigen Anzeigen die Risiken der Atomenergie negiert. Sein Rücktritt ist überfällig!

Und schließlich, was sind das für „Wissenschaftler“ im Beirat? Wenn Sie, Herr Greim, auch weiterhin die internationale Literatur ignorieren und Dioxine mit allen Mitteln verharmlosen, dann treten Sie doch bitte freiwillig aus der MAK-Kommission (Maximale Arbeitsplatz Konzentration) aus!Otmar Wassermann ist Toxikologieprofessor in Kiel