■ Stadtmitte: Berlin – Hauptstadt der Bewegung?
Nein, Berlin ist nicht Hauptstadt der Bewegung. Aber es gibt gefährliche Entwicklungen und Hinweise, daß die Neonazis aufrüsten, um von Berlin aus Drähte in das „künftige Reich“ zu ziehen. Es fing an in der Hochzeit der „Nationalen Alternative“ (NA), als sich 1990 in der Weitlingstraße Nazis aus ganz Deutschland und dem Ausland trafen. Dieser Tagtraum zerfiel, wie auch die „Nationale Alternative“, die heute nicht einmal mehr 20 Mitglieder zählend in der „Deutschen Alternative“ aufging.
Doch in der Tat: Nazis wollen hoch hinaus. Neben der Tätigkeit in der Zentrale in Cottbus wurden bedeutende Anstrengungen darauf verwandt, einen Landesverband „Reichshauptstadt“ zu etablieren. Der stadtbekannte A.-W. Priem avancierte zum Vorsitzenden. Friedhelm Busses „Freiheitlich Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP), deren Anhänger überwiegend in den östlichen Stadtteilen sind, beschloß am 14.Februar 1992 im Kreis Strausberg auf ihrem Bundesparteitag, der Entscheidung der Parteiführung zu folgen, sich auf die „Reichshauptstadt“ zu konzentrieren.
Enge Beziehungen gibt es zur FAP und zur „Wiking-Jugend“ (WJ), deren Wirken öffentlich nicht so sichtbar ist, die aber als „Kaderschmiede“ viele „Hoffnungsträger“ ins Rennen schickte, so den „nationalen Liedermacher“ F. Rennicke, der seine „völkische Kehle“ nahe Berlin am 19. Juni 1992 in Falkensee vor 250 jungen Männern – überwiegend Skins – erklingen ließ.
Dazu gehört auch der heutige schleswig-holsteinische „Republikaner-,Führer‘“ Heiko Oetker, ehemals Bundesfahrtenführer und NPD-Mann. Unter dem Vorsitz von Wolfram Narrath erfolgt die Bundesleitung der „Wiking- Jugend“ aus der Hauptstadt. In Berlin zeigt sich danebst „Wotans Volk/Asgard-Bund e.V.“ eng liiert mit den Ostberliner „Vandalen“, eine Rockergruppe, die schon in der DDR von sich reden machte. Germanenkult ist der Kick.
In Berlin gibt es viele Anlaufstellen. Ursula Schaffer, die alte Dame des Nationalsozialismus, ist häufig Anlaufpunkt junger und alter Nazis wie auch anderer Rechtsextremisten, nicht nur aus Berlin. Sie ist koordinierend und beratend für die „Deutsche Kulturgemeinschaft Preußen“ tätig, jene Organisation, die sich als ideeles Dach der Berliner Rechtsextremisten versteht.
Zu Veranstaltungen der Gemeinschaft treffen sich nicht nur Leute aus nazistischen Kreisen, sondern auch und gerade bieder anzusehende Rechtsextremisten der NPD, „Republikaner“ und Volksligisten (Deutsche Liga für Volk und Heimat), deren Berliner Verband unter Vorsitz des ehemaligen „Republikaners“ Frank Schwerdt steht. Eingeladen werden prominente Gesinnungsgenossen, oft Akademiker, die für ideologische Festigkeit und Erbauung sorgen.
Ein bedeutender politischer Faktor wurden mit den letzten Kommunalwahlen die „Republikaner“ mit bis zu 12,8 Prozent Wählerstimmen. Zunehmend erfolgreich agiert diese Partei im Osten der Stadt, gerade in sogenannten „linken Domänen“, wie Marzahn.
Allerdings klagen die Funktionäre über einen Mangel an befähigten „Mitstreitern“, die Wahl- und Leitungsfunktionen ausüben könnten. Zwar scheinen rechtsextreme Stimmungen von Teilen der Bevölkerung organisationspolitisch nicht auffangbar, doch die Skinheads und andere Jugendgruppen bilden als örtliche Kleingruppen eine „autonome“ rechtsextreme Bewegung, die teilweise eng mit nazistischen Strukturen verzahnt ist.
Ihre Organisationsmuster sind differenziert, entsprechen sich aber im Interessenzweck „Kameradschaft, Fun und Deutsch“. Ihre Info-Magazine, wie Proißens Gloria, geben dem Rassismus und der Gewalt eine Identität und helfen, geistige Landmarken völkischer Ideologie zu setzen. Bernd Wagner
Der Autor ist Leiter des Bildungswerks des Deutschen Gewerkschaftsbundes Berlin-Brandenburg und war zuvor bis Ende 1991 Leiter des Staatsschutzes beim „Gemeinsamen Landeskriminalamt der Neuen Länder“.
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