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Abschied von goldenen Wasserhähnen

Stadtforum: Fachleute plädieren angesichts fehlenden Geldes für neue Prioritäten beim Neubau und für billigeres Bauen/ Erst die Innenstadt, dann die Außenbezirke entwickeln  ■  Von Rolf Lautenschläger

Das Elend ist bekannt: In Berlin existieren nicht nur zuwenig Wohnungen, soziale Infrastruktureinrichtungen und Arbeitsstätten. Zugleich erscheint der Ausgleich des Mangels zwischen Angebot und Nachfrage immer unsicherer. Der Grund: Die öffentlichen Mittel werden immer knapper oder in andere, etwa olympische, Geldsäcke geleitet. Die einstigen Bundeshilfen versiegen. Bei 5,8 Milliarden Mark an Neuverschuldung im laufenden Haushalt ist bereits jede siebte Mark gepumpt. Die knappen Mittel werden „Vorrang und Nachranggebiete der Stadtentwicklung“, so das Thema der 26.Runde im Stadtforum, notwendig machen. Wer dabei verlieren könnte, ist so offen nicht; im Zweifelsfall werden es die Milieus und neuen Siedlungen sein.

Öffentliches Bauen ist in Berlin eine teure Angelegenheit geworden. „Angesichts fehlender Finanzmittel“, sagte Michaele Schreyer, „geht der Anspruch der Stadtentwicklung, Wohnungen und soziale Infrastruktureinrichtungen gleichzeitig bauen zu wollen, an der Wirklichkeit vorbei.“ Die bis 1995 prognostizierten rund 80.000 neuen Wohnungen im Berliner Nordosten, in Spandau oder in Altglienicke könnten, wenn auch nicht im Rohbau, so doch als unfertige Siedlungen zurückbleiben – ohne Kindertagesstätten, Schulen und Verkehrsverbindungen.

Das Neubauprogramm entziehe zudem den innerstädtischen Wohnbezirken das Geld. Für zukünftige Baumaßnahmen müßten Prioritäten gesetzt und Instrumente gefunden werden, die die Gesichtspunkte der Durchmischung, den Verzicht auf Monostrukturen und die Wirtschaftlichkeit berücksichtigten und die Planung vorrangig auf die Modernisierung und den Ausbau der Innenstadt konzentriert. Büroflächen müßten verstärkt auf Standorte am S-Bahn-Ring gelenkt werden.

Michaele Schreyer: „Die Bebauung von Gewerbeflächen außerhalb der Stadt birgt nicht nur die Gefahr der sozialen Segregation in sich, zudem werden alle Folgekosten der Stadt entzogen.“

Die „Prioritätenlinie“ hat nach Meinung der Stadtplanerin Helga Fassbinder auf den Erhalt der „heterogenen, kleinteiligen Milieus“ und eine flächendeckende Substanzverbesserung abzuzielen. Ein Management zur Kommunikation zwischen Bewohnern, Planern und Verwaltung sei einzurichten, damit Strategien zum Bau von billigerem Wohnraum erarbeitet werden könnten. In Holland, berichtete Helga Fassbinder, seien Erfahrungen gesammelt worden, die nicht zu Lasten der architektonischen und städtebaulichen Qualität gingen und den Markt besser steuerten. Ein Abrücken von hohen Standards mache das Wohnen rentabler und nicht unbedingt schlechter: „Wir müssen uns von den goldenen Wasserhähnen verabschieden“, kommentierte der Maler Xago Schröder die Zukunft.

Auch die Investoren scheuen angesichts leerer Kassen und problematischer Zukunftsaussichten das Risiko, in Berlin angekündigte Dienstleitungseinrichtungen zu forcieren. Die Gründe dafür, so Theodor Honrath, Geschäftsführer der Müller International Immobilien, lägen in der schlechten Vermietbarkeit teurer Büroflächen sowie in der undurchsichtigen Markt- und Quartiersentwicklung. Diese könne darum nicht analysiert werden, verhindere doch der Datenschutz Einsichten in andere Pläne und parallel laufende Projekte. „Das Bauen als öffentlicher Vorgang“, stimmte der Bauökonom Ulrich Pfeiffer zu, verlange nach Strategien zur besseren Koordination sowie die Aufhebung des Datenschutzes. Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer sieht die Möglichkeit, gemeinsam mit der IHK zur Offenlegung der Daten im Sinne einer „gemeinschaftlichen Bereitschaft“ auf freiwilliger Basis. Die Interessen der Stadtentwicklung sowie die Koordination und Abstimmung der Projekte könnten so besser kontrolliert und eigene Ansprüche angemahnt werden.

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