■ Heiner Müller und der deutsche Wolf im braven Hund: Hang zum Schäbigen
In einer seiner Keuner-Anekdoten erzählt Brecht von einem Mann, zu dem (in Zeiten der Illegalität) ein Agent der Macht kommt. Dieser zeigt einen Schein vor, welcher ausgestellt ist im Namen derer, die die Stadt beherrschen, und auf dem steht, daß ihm gehören solle jede Wohnung, in die er seinen Fuß setzt, und ebenso jedes Essen, das er verlangt. Auch solle ihm jeder Mann dienen, den er sieht.
Der Agent setzt sich, verlangt Essen, legt sich nieder und fragt vor dem Einschlafen: „Wirst du mir dienen?“
Schweigend deckt ihn der Mann zu, vertreibt ihm die Fliegen, bewacht seinen Schlaf. Sieben Jahre lang geht das, dann stirbt der Agent, dick vom Essen, Schlafen und Befehlen. Der Mann wickelt ihn in eine Decke, schleift ihn aus dem Haus, wäscht das Lager, tüncht die Wände, atmet auf und antwortet: „Nein.“
Als ich hörte, der Dramatiker Heiner Müller sei zu „IM Heiner“ mutiert (Überlappungen mit „Heiner I“ stehen nicht zu befürchten, da der eine ja theologisch, der andere kulturpolitisch abgebucht war), überkam mich ein anhaltendes Lachen. Zuerst der Verblüffung wegen, die der Autor zeigte, weil man ihn eingetütet hatte wie Fritzchen Müller, samt seiner beratenden Gespräche. Dann sah ich die Claque des Dramatikers (gestylt und mit Schuhen, wie der Meister sie in Moskau trug) ein „Chic!“ aushauchen, danach die Schar der Müller-Forscher sich erneut den deutschen Tiefsinn überstülpen. Sah ganze Sparten von Germanisten und Psychoanalytikern aus den Werken nun die persönliche Verrats-Linie sezieren, den toten Vater heranzerren, die nicht gesprengten Schöße. Das gibt Brot für Jahre, dachte ich – in einer Zeit, die Arbeitsplätze frißt.
Wieso aber überrascht die aktuelle Wendung, woher der Aufschrei? Ist nicht unsere Geschichte gesegnet mit Wortgewaltigen, die auf dem Papier die Elemente toben lassen, um sich danach bei Krämerseelen einzuhakeln? Die faszinierend mit dem Tod anderer jonglieren, selbst aber schön alt zu werden trachten? Männer mit hoher Begabung und der Begabung, die eigene Feigheit in die Sucht umzulügen, bevorzugt mit Dynamit zu spielen? Daß Feigheit vor Talent nicht haltmacht, ist doch nun wirklich ein alter Hut. Und gerade im deutschen Wolf steckte meist ein braver Hund.
Müller, die fäkalbolschewistische Sekte unterm askesebleichen Schädeldach, ist nach dem Zusammenfall der DDR in die glanzlose Rolle deren Kultursachwalters gesackt. Das macht seine Stücke nicht schlechter. Und waren die Zeichen nicht längst zu dechiffrieren? Wer es wollte, konnte mitvollziehen, wie die Abscheu gegenüber dem „warmen Sklavenstall“ (wie Ernst Niekisch die Demokratie noch immer treffend umschrieb) den Autor in die Ellenbeuge biederer Ost-Kameraden trieb. Allein in jener Woche, da er seinen Nationalpreis verfraß – pompös, ein Heer von sektgefüllten Wampen zu seinen dürren Waden –, riß man die Graphiken des jungen, hochbegabten Igor Tatschke von der Wand, starrte eine Theatertruppe während der Aufführung ihres nicht genehmigten Stückes plötzlich in die finsteren Fressen von Sicherheitsorganen, die Sekunden darauf ihre Vorstellung sprengten.
Ein harscher, ein DDR-typischer Kontrast zwischen oben und unten. Und deutlicher nun begann Müller das Muster jenes Teppichs zu preisen, auf dem er sein Freßgelage fand – die neue, liberale Kulturpolitik von Kurt Hager und seinen ZK-Genossen.
Ich hätte den Dichter (den man von nun an mal als Shakespeare- Nachfolger, mal als chinesischen Weisen handelte) erschlagen können. Als sich der Tag von Müllers Geburt zum 60. Mal jährte, wurde ich aus einem bundesdeutschen Theater als Regisseurin wieder ausgeladen, auf Wunsch der SED- Zentralgenossen. Als Belohnung winkte der Zuschlag zum großen Müller-Spektakel, um das sich, zu Ehren des Meisters, das BE-ER- DE-Theater seinerzeit riß. Auch mich riß es hin, zu einem Brief in den Osten – er sei ein politisches Ferkel, beschimpfte ich den Shakespeare-Nachfolger.
Dem ist nun weiter nichts hinzuzufügen – das „IM“, so meine ich, ist nur der doppelte Punkt auf einem dicken I. Und ist „Heiner II“ denn der schlimmste Finger, der aus unserem Erbe ragt? Peter Hacks, der die sozialistische Heimat recht früh heimsuchte, um sich allhie wie ein Junker auszubreiten, erläuterte kürzlich einem Österreicher, in den „Golden Sixties“ der DDR (jener Dekade also, in der mein Bruder und seine Freunde für vier bis elf Jahre in den Strafvollzug wanderten, einer politischen Lappalie wegen) sei es gar nicht möglich gewesen, ins Gefängnis zu kommen. „Da konnte man machen, was man wollte, man kam einfach nicht ins Gefängnis.“ So fein Hacks. Vom Herbst 89 hat er gerademal zurückbehalten, daß sich da „das Lumpenkleinbürgertum“ auf der Straße versammelte, von dem jeder dritte der Stasi angehörte (wohl wahr!), jeder zweite aber einem westlichen Geheimdienst.
Dagegen ist Müller ja eine Leuchtboje an Moral – und hat nicht auch Hacks ein paar passable Stücke vorgelegt?
Wir werden uns wohl abfinden müssen mit diesem Hang zum Schäbigen, zum faulen Grund, aus dem es wenigstens nach Feigheit stinkt statt Bohnerwachs. Mit Männern, die wortreich den fehlenden Willen zur Utopie beklagten und dabei denen die Schaufel hielten, die Friedhofslöcher für Utopien bereithielten. Die mit Krämerseelen der Macht paktierten und sich für die Legende nun vom Komplizen zum Opfer uminterpretieren.
Es ist ein Stück aus deutscher Seele, was da läuft. Und schäbig ist es allemal, dieses Stammeln nach dem Ertapptwerden. Mit der Sicherheit war ein knochenharter Staat zu machen, sonst nichts. Wer am Ende das „Material“ war und wer nicht, bestimmte sie – kein Autor. Noch peinlicher freilich ist es, sie nun aufzupolieren, um sich wenigstens in einen Jüngerschen Ruch zu retten. Ihr haftete nichts Dämonisches an, auch war sie nicht das Henkerbeil, unter das man bibbernd kroch, um zu erkunden, ob man es aushalte, fremd tropfendes Blut auf dem Gesicht zu spüren. Sie war eine biedere Abteilung – eine Maschine, geschmiert mit deutschem Fleiß. Das läßt sich nicht in Perlmutt veredeln.
In seiner Adaption von „Zement“ schmiedet auch Müller seinen Prometheus an einen kaukasischen Felsen. Doch als Herakles den Sohn des Titanen befreit, bricht der in Tränen aus – um jenen erschossenen Adler, der ihn zugeschissen und ihm die Leber zerfressen hat, ein paar Jahrtausende lang. Beweglicher nun als je an der Wand, beschimpft er den Befreier als Mörder, versucht, ihm ins Gesicht zu speien (zudem erbricht er sich noch unter dem Stallgeruch, der Herakles anhaftet, seit er die Ställe des Augias ausgemistet). Brüllend und geifernd verteidigt er seine Ketten gegen den Zugriff des Befreiers. Nach seinem ruhigen Platz am Stein schreit er, unter den Fittichen des Adlers, mit keinem anderen Ortswechsel als dem von den Göttern durch gelegentliche Erdbeben verfügten. Noch, als er wieder aufrecht gehen kann, sperrt er sich gegen den Abstieg wie ein Schauspieler, der die Bühne nicht verlassen will.
Das Stück hält sich auf dem Spielplan, seit drei Jahren schon. Nur, wie lange ertrage ich seine Reprisen? Dennoch: In seinen Texten ist Müller Visionär, Chirurg, Titan. Im Leben wohl eher ein Zwerg. Freya Klier
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