■ Grüne und Bündnis 90 beschließen gemeinsame Partei: Ausgang offen
Nur kurzzeitig lief die grüne Regie aus dem Ruder. Der pathetisch inszenierte Rücktritt von Christine Weiske bot den Ost-Grünen noch einmal die Chance, sich als Märtyrer der Vereinigung zwischen den ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern und den Grünen zu präsentieren. Daß einige West-Grüne die Chance ergriffen, altgrüne Identitäten und deren befürchtete Aufweichung durch das Bündnis zu beschwören, war programmiert. Doch die Mehrheit für den Zusammenschluß mit dem Bündnis fiel allein schon deshalb so unangefochten aus, weil alle wußten, daß ein Scheitern der Assoziation die Bundesgrünen leicht wieder dorthin katapultiert hätte, wo sie sich zu Beginn der langwierigen Vereinigungsverhandlungen schon einmal befunden hatten: auf dem Tiefpunkt.
Eher als die Affinität zu den Bürgerrechtlern hat pragmatisches Kalkül die Grünen in die Vereinigung gezwungen. Die Angst vor einer erneuten Wahlniederlage und die Chance, den öffentlichen Nimbus der Bürgerrechtler fürs Comeback in die Bundespolitik zu nutzen, standen Pate. Immerhin ist es den Grünen gelungen, die lange grassierenden Vorbehalte gegen die Bürgerbewegten wegzudrücken und die innerparteilichen Vereinigungsgegner zumindest soweit zu domestizieren, daß sie der gemeinsamen Organisation nicht mehr ernstlich in die Quere kommen konnten. Das allein schon ist eine passable Leistung.
Dafür wurde die Allianz zwischen Joschka Fischer und Ludger Volmer geschlossen. Doch überraschend ist es schon, daß das Zweckbündnis mittlerweile wie eine stabile Partnerschaft anmutet. Die Einschätzungen zur politischen Situation der Republik und zur künftigen politischen Rolle der gemeinsamen Partei unterscheiden sich nur noch darin, daß Fischer das neugewonnene Oppositionsgefühl eben noch ein Stück populistischer zu formulieren versteht.
Das macht ihm keiner nach, das macht es zugleich schwieriger, sich die gemeinsame Politik der vereinigten Partei vorzustellen. Denn während das Bündnis – etwa in Sachen Einwanderung oder Blauhelmeinsätze – in der Vergangenheit sein Interesse an politischen Lösungsvorschlägen dokumentiert hat, scheinen sich die grünen Strategen erneut mit der Klage über den „Rechtsruck“ und die Hoffnung auf zehn Prozent oppositioneller Wählerstimmen bei den nächsten Wahlen zufrieden geben zu wollen. Auf die bevorstehende Pazifismusdebatte oder die Auseinandersetzung über die Ursachen des Rechtsradikalismus jedenfalls darf man gespannt sein. Erst an deren Verlauf, nicht an den in Hannover verabschiedeten Statuten, wird sich ablesen lassen, ob die Bürgerrechtler ihren selbstbewußt propagierten Anspruch einer politischen Neukonstituierung durchsetzen können. Matthias Geis
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