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Die kurdische Zeitung „Özgür Gündem“ verstummt

■ Sie berichtete über die Verbrechen von türkischem Geheimdienst und Militär/ Zahlreiche ihrer Mitarbeiter wurden ermordet/ Jetzt ging dem Projekt das Geld aus

Istanbul (taz) – Die Istanbuler Tageszeitung Özgür Gündem (Freie Tagesordnung) hat ihr Erscheinen eingestellt. In der letzten Ausgabe am vergangenen Freitag kündigten Verleger und Redaktion an, daß die Zeitung in Kürze wieder erscheinen werde. „Wir werden unsere Feinde nicht glücklich machen“, schreibt der Verleger Yasar Kaya und bilanziert die achtmonatige Existenz der Zeitung: Gündem – wie die Zeitung auch genannt wird – „war die unvergeßliche revolutionäre und demokratische Stimme des kurdischen und türkischen Volkes. Sie hat für Demokratie und Menschenrechte gekämpft.“

Die Berichterstattung über Kurdistan war die Stärke von Özgür Gündem. Ausnahmslos alle Tageszeitungen sind in ihrer Kurdistan-Berichterstattung zum halboffiziellen Sprachrohr des türkischen Regimes geworden. Nicht politische Zensur ist der Grund, sondern die freiwillige Unterordnung der türkischen Mediengiganten in den nationalen Chor. Özgür Gündem steuerte dem mit eigenen Korrespondentenberichten aus Kurdistan entgegen. Sie veröffentlichte Fotos von dem in Deutschland gebauten und von der Bundesregierung gelieferten Panzer in Kurdistan, der einen Kurden hinter sich herschleifte. Und sie berichtete frei über den dreckigen Krieg, den die türkische Armee in Türkisch-Kurdistan führt. Staatlich gedeckte Morde an kurdischen Zivilisten waren ein Dauerthema in der Zeitung.

Für ihre kritische Berichterstattung zahlte die Zeitung einen hohen Blutzoll. Vier ihrer Autoren, darunter der berühmte kurdische Intellektuelle Musa Anter, wurden ermordet. Doch der Terror brachte die Zeitung, die in der Türkei Auflagen von 60.000 erreichte, nicht zum Schweigen. Aus Sicherheitserwägungen – ein Lkw war in Kurdistan in Brand gesteckt worden – weigerte sich im November vergangenen Jahres der Grossist, weiter die Zeitung auszuliefern. Daraufhin versuchte die Zeitung den Eigenvertrieb in Kurdistan. Halil Danir gehörte in der kurdischen Stadt Batman zu denjenigen, die die Zeitung vertrieben. Er wurde am 23. November umgebracht. – Systematisch wurden Brandanschläge auf Kioske verübt, die trotz allem Özgür Gündem weiterverkauften. Zwei weitere Zeitungsverkäufer wurden im Dezember ermordet. Der Terror, der diesmal darauf gerichtet war, der Zeitung ökonomisch den Garaus zu machen, zeigte Wirkung. Nur noch 6.000 Examplare wurden im Januar in den kurdischen Gebieten verkauft. Parallel rollte eine Prozeßlawine über die Zeitung. 28 Mitarbeiter der Zeitung wurden zeitweilig festgenommen. 39 Ausgaben wurden beschlagnahmt. Insgesamt 55 Jahre Gefängnis fordert der Staatsanwalt gegen zwei Journalisten, die im Sinne des Presserechtes verantwortlich für die Zeitung waren. Dem Verleger Yasar Kaya drohen Gelstrafen von umgerechnet mehreren hunderttausend DM.

Letzlich war es die Gewalt der Ökonomie, die das vorläufige Ende der Zeitung erzwang. In der Türkei wurden gerade noch 20.000 Examplare verkauft, während die Auflagenzahlen in Europa stiegen: 16.000 verkaufte Gündem zuletzt an europäischen Kiosken.

Doch das politische Zeitungsprojekt war auch von internen Konflikten erschüttert. Von Anfang an hatte das Blatt die Unterstützung der türkischen Linken gewonnen.

Konzeptionell war es nicht als Zeitung der kurdischen Nationalbewegung gedacht, sondern als Gemeinschaftsprojekt von Türken und Kurden, als Gegenprojekt zur militärischen Befriedungsstrategie der Herrschenden. Doch mit der Eskalation in Türkisch-Kurdistan mehrten sich in der Redaktion die Kräfte, die die Zeitung zum Sprachrohr der kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) umfunktionieren wollten. Redakteure klagten halbernst über „Gängelung durch semi-offizielle Parteisekretäre der PKK“.

Welchen Weg Gündem nach der „Rekonstruktionsphase“ gehen wird, ist ungewiß. Die Einstellung der Zeitung ist allemal ein Verlust. „Es ist, als müßte ich die Henkersschlinge an meinen Sohn anlegen“, sagt Verleger Yasar Kaya.

Ömer Erzeren

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