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Die Venus von Kunzmann heißt Emanuelle

■ Galerie Gruppe Grün hängt nackte Schönheit hin und her / Angst vor Glasbruch / Beiprogramm: GiftArt und entkernter Schrank

hier die Nackte

Ist das Bild, dem hier aus verschiedenen Gründen eine Ecke fehlt, Pornograhie? Frauenverachtung? Provokation? Oder Kunst? Indem Thomas Kunzmann das mannshoch aufgeblasene Pornobildchen aus einem einschlägigen Magazin mit Klebestreifen in der Galerie Gruppe Grün aufgehängt hat, hat er die Nackte „aus der Schmuddelecke der Peepshows“ in einen hochreflektierten und vielfach gebrochenen Zusammenhang gestellt: Wenn man's richtig macht, wird alles Kunst. Im Zweifelsfall entscheiden die Kunstgeschichtler — oder die Gerichte.

Oder entscheiden Frauen, denen es nicht paßt, daß ein solches Bild bestens sichtbar für alle PassantInnen in der Galerie präsentiert wird? Zunächst, bei der Ausstellungseröffnung am letzten Freitag, hing nur ein Schild an der Tür: „Kunstgalerie oder Wichsvorlage wie RTL?“ Auf dem Schild die Doppelaxt als Lesbenzeichen. Es folgten Überklebungen der Schaufenster, Filzstift-Parolen und flüchtig skizzierte männliche Sexualorgane.

„Toleranz und Schönheitssinn klage ich ein,“ formuliert Künstler Thomas Kunzmann. „Das Bild ist schön außer Zweifel, ein Frauenakt, nicht gedemütigt. Selbstbewußt zeigt sie ihre Sexualität.“ Das Bild sei eine Anlehnung an Botticellis Venus. Thomas Kunzmann kommt aus Berlin und hat es geschafft, dort kein Unbekannter zu sein. Seine „Emanuelle“ ist nach eigenen Angaben „in Berlin berüchtigt“. Er hat außerdem eine Gedenkstätte für die Täter des Nationalsozialismus gebaut, eine Arbeit für Ponto-Baader-Meinhof- Schleyer (“Wir starben gemeinsam für Deutschland“), einen Tisch der Drogenverherrlichung. „Mit Linken habe ich viel Ärger.“ Kunzmann ist ein Provokateur und sieht sich nicht als solcher. Kunzmann hat eine Wärmhalle für Penner entworfen - seine Themen sind sozial, seine Eingriffe rigide. Doch mitnichten ist Kunzmann ein Didakt, ein Aufklärer gar: Gespräche beispielsweise mit Lesben über „Emanuelle“ interessieren ihn nicht. „Diese Kunst ist für selbstbestimmte Menschen, nicht für Lektionen.“

Andreas Wegener, seit 1/2 Jahr Mitglied der Künstler- “Gruppe Grün“, zeichnet verantwortlich für „seine“ erste Ausstellung „a billion trash“, die nicht nur Thomas „Spektakel“ Kunzmann zeigt, sondern auch die weniger spektakulären Andreas Walther und Axel Lieber (beide Berlin). Lieber (Jg.60) ist ein avancierter und echter Bildhauer, der z.B. aus Schränken soviel Material heraushaut oder —sägt, bis dünne Rippen übrigbleiben. Was bei der Dekonstruktion übrigbleibt, sind minimalistische Zeichen im Raum — transparent, ohne Funktion.

Der dritte Berliner ist Andreas Walther, Künstler und bekennender Allergiker. Er reagiert mit einer Mischung aus Zynismus und Ernst auf das Thema

„Formaldehyd“, das sich ihm in Form von Spanplatten aufdrängt. Diese werden mit einem Frottageverfahren traktiert und stehen in der Galerie wie Grabplatten. Aufdruck „DESTROY“, das Logo einer englischen Oberbekleidungs-Kollektion. Mit einer naiven Geste

hier das aufgeklappte Bild

möchte er sich dem Kunstmarkt entziehen, indem er Kunst macht, „die nicht veräußerbar ist, weil sie vergiftet ist“.

Ab sofort werden die filigrane Arbeit Liebers und Walthers GiftArt nicht mehr von der Nicht-so-gemeint-Kunst Kunzmanns erschlagen — Emanuelle wurde auf Beschluß der Gruppe Grün-Konsorten dem öffentlichen Blick entzogen. Sie hängt jetzt an einem von außen nicht einsehbaren Platz. Hermann Stuzmann (vom Krankenbett, wo er sich von dem brutalen Überfall aufs Cafe Grün am Wochenende erholt): „Wir zensieren uns selbst, das Bild soll keine provozierende „Wichsvorlage“ sein.“ Seine Sorge ist, daß die Scheiben eingeschmissen werden.

Ob das den Künstler stört, darum haben sich die Galeristen nicht gekümmert. Thomas Kunzmann, reagiert überraschend: „Das ist richtig so! Die Galerie als ein halböffentlicher Ort soll nicht Leute mit dem Bild konfrontieren, die sich nicht darauf einlassen können.“ Denn sein ultimatives Credo lautet: Letztendlich geht's drum, daß Frieden herrscht!“ Bus

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