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Soldat, Soldat in grauer Norm

Vilsmaiers „Stalingrad“ fällt mit Landserromantik hinter „Das Boot“ oder „The Deer Hunter“ zurück  ■ Von Christof Boy

„Rund 22 Grad unter Null – so tief sollte die Temperatur noch fallen, in der ersten Nacht an unserem neuen Drehort Kemijärvi in Lappland. Dreherfahrungen in einem Grenzbereich konnten wir während dieses Filmprojekts noch reichlich sammeln. Waren es in Kladno Dreck, Schlamm und feinster Stahlstaub, der Mensch und Gerät zusetzte, ist es hier eisige Kälte... Manchmal froren uns beim Umbau der Kamera sogar die Handschuhe am Stativ fest: Bedingungen, bei denen sich die neuen 24-V-Akkus als äußerst zuverlässig erwiesen.“ Dies ist kein Wochenschau-Bericht eines technisch vernarrten Kriegsberichterstatters von seinem neuen Einsatzort an der Ostfront. Peter von Haller, Kamera-Assistent von Joseph Vilsmaier, schreibt für das Branchenfachblatt Filmecho/Filmwoche. Die Zeiten haben sich geändert, nicht jedoch die Sprache. Die Zeiten haben sich geändert, nicht jedoch der Kamerahersteller. Vor Stalingrad filmten die Teams der Frontberichterstatter mit der ArriST. Jetzt befindet sich die neue Arriflex535 „im Härtetest“ und verhält sich „unter widrigsten Bedingungen“ doch absolut problemlos. „Stalingrad“, der Film. Auch eine Materialschlacht.

Kino ist Krieg. Joseph Vilsmaier wartet nicht lange, dann entfesselt er die Urkräfte der Pyrotechnik. Ein kurzer Fronturlaub in Italien, eine Bahnfahrt durch die Weite Rußlands, ein Feldgottesdienst. Dann das Inferno. Stahlgewitter, von Ernst Jünger beschrieben, explodieren in kalten grauen Bildern. Eine Fabrikhalle soll genommen werden – um jeden Preis. Russische MG-Nester. Granatenschläge überall. Blutige Leiber. Viehisches Morden. Orientierungslosigkeit. Ein deutscher Soldat erschießt seinen Kameraden – aus Versehen. Ein anderer erschlägt den Feind mit dem Klappspaten und scheißt sich dabei in die Hosen. Es geht um nichts, nur um das nackte Überleben. Joseph Vilsmaier trifft den Krieg an seiner wundesten Stelle, indem er das unendliche Chaos eines winzigen Angriffs zeigt. Nur zeigt.

Danach ist es mit der Genauigkeit schon vorbei. Die Zigarette im Unterstand. Die Feldpost und Gespräche über die daheim zurückgelassenen Frauen. Nichts als schwülstige Landser-Romantik. Joseph Vilsmaier will einen Augenblick zerdehnen, doch das Gefühl des Ausgeliefertseins, die Isolation, das Grauen – nie wieder wird er diesen Moment im Laufe des Films fassen können. „Stalingrad“ ist ein Film, der das Paradoxon des Kriegsfilms wie kein anderer sichtbar macht – gerade in der Materialschlacht, erst durch das fanatische Bemühen, den Kampf mit den Finessen der Tricktechnik naturgetreu nachzustellen, wirkt er. Indem er den Mythos der Zerstörung neu schafft, zerstört er ihn.

Joseph Vilsmaiers Film wirkt wie ein eigentümliches Fossil in einer Zeit, in der die Vorstellung von der visuellen Umsetzung kriegerischer Handlungen längst jenseits brennender Panzer und Häuserschlachten liegt. Die so oft beschworenen virtuellen Welten, die aus dem Blitz- einen Blickkrieg gemacht haben, entstehen nicht hier. Wo der Wimpernschlag eines Piloten, dessen Pupille von einem Laser abgetastet wird, die Rakete auslöst, regieren andere Helden. „Top Gun“, „Rambo“, „Terminator“: die Universal Soldiers des Genres sind längst Maschinen – mit allenfalls menschlichen Zügen. Der antiquierte Kriegsfilm wirkt dagegen wie die Moral vom menschlicheren Töten. Hier ist der direkte Bezug zum Dahinschlachten am größten. Hier töten noch keine Blicke, sondern Gewehre.

Joseph Vilsmaier sucht also die Moral, doch er findet nur Floskeln. Nun tut sich jemand in diesem Land mit eben jener Geschichte, die Auschwitz hervorgebracht hat, schwer, einen Film zur Diskussion zu stellen, der schon durch die Wahl einer herausgelösten Kesselschlacht in den Verdacht gerät, die Revision jener barbarischen Epoche betreiben zu wollen. Daß es trotz eindeutiger Täterschaft von Regierungen möglich ist, Filme über deren Feldzüge zu drehen, die nicht sofort zu Heldenepen auf den Krieg geraten müssen, sondern manchmal sogar Züge von Antikriegsfilmen annehmen können, beweisen einige amerikanische Produktionen zum Vietnamkrieg. Dabei sind diese Filme gar nicht so sehr darum bemüht, ständig ihre politische Korrektheit zu bestätigen. Es kommt ihnen eher darauf an, die Menschen im Kriegsgetümmel genau zu beobachten, um die Mechanismen kriegerischer Grausamkeit zu entlarven. Gelungenere Filme wie Michael Ciminos „Deer Hunter“ halten sich viel länger bei der Schilderung des Milieus auf, aus dem die Soldaten stammen, als bei den Kampfhandlungen. Wolfgang Petersens Film „Das Boot“ gewinnt seine klaustrophobische Genauigkeit vor allem aus der Abwesenheit des Feindes. Die Anspannung ist viel entscheidender als der Kampf. Selbst eher reißerische Kriegsfilme wie Kubricks „Full Metal Jacket“ zeigen, wie systematisch Persönlichkeiten gebrochen werden, bevor sie auf dem Schlachtfeld verbluten. Diese Männer sind Figuren mit einer Geschichte, die die Kriegsmaschinerie in die Schablone des funktionierenden Infanteristen preßt. Bei Joseph Vilsmaier ist es genau umgekehrt. Bei ihm sind die Soldaten schon Schablonen, bevor ihr Krieg beginnt.

Sommer 1942 an der sizilianischen Küste. Deutsche Soldaten erholen sich vom Fronteinsatz in Afrika. Da treffen sich der ungestüme, vorlaute Kämpe „Rollo“ Rohleder aus dem Ruhrgebiet, der dicke gemütliche Hesse und ein junger Leutnant, der zum ersten Mal an die Front fährt und dabei seine Herzlichkeit auf dem Gesicht trägt.

Rohleder wettet mit dem Grünschnabel um einen Kasten Wasser, daß der Offizier aus diesem Krieg nicht zurückkehren wird. Der Zyniker gegen den Weichen. Vilsmaier reicht diese Charakterisierung. Mit einem dünnen Waschzettel voller skizzenhafter Lebensläufe an der Uniform schickt er seine Soldaten in die Schlacht um Stalingrad – lauter Männer ohne Eigenschaften. Das Antlitz des Krieges – unmenschlich, aber vor allem unpersönlich.

Stalingrad ist kein beliebiger Schauplatz. Hier sind nicht nur deutsche Soldaten erfroren. Gefallen sind sowjetische Soldaten. Gelitten haben Zivilisten. Für die von den Faschisten verfolgten Völker war die Kapitulation der sechsten Armee der entscheidende Hoffnungsschimmer auf ein abzusehendes Ende des Krieges. Joseph Vilsmaier weiß, daß er die geschichtlichen Tatsachen nicht ausblenden kann.

Die Gefahr, durch die Dramatisierung persönlich erfahrener Geschichte zu einer Mystifizierung der Tragödie beizutragen, glaubt er umgehen zu können, indem er die Charaktere der Soldaten vage hält. Doch dadurch trägt er noch mehr zu einer apologetischen Darstellung bei. Jede Handlung, jede Tat der im wahrsten Sinne feldgrau gezeichneten Soldaten steigert sich zum allgemein gültigen Vermächtnis einer sechsten Armee, die doch so schlecht nicht gewesen sein kann, wenn schon der gemeine Soldat Menschlichkeit gezeigt hat.

Zeichen ehrenhaften Verhaltens finden sich zuhauf. Beschwerden über die unwürdige Behandlung sowjetischer Gefangener, Andeutungen von Befehlsverweigerung bei einer Exekution angeblicher Saboteure. Doch meistens kommt das Nachdenken zu spät. Der deutsche Soldat hat zwei Eigenschaften. Erst gehorcht er. Dann hat er ein Gewissen. Wenn es sich bereits vor der Untat zu Wort meldet, artikuliert der Soldat gegenüber dem Vorgesetzten und führt den Befehl dann doch aus. Der russische „Saboteur“ ist zwar dann ebenso tot, aber der militärische Anstand des deutschen Soldaten ist gerettet. Einem deutschen Regisseur wie Vilsmaier scheint es immer darum zu gehen, an hehren Handlungen zu studieren, wie menschlich das Tun des Kriegers ist. In amerikanischen Filmen bewohnen Täter und Opfer denselben Körper. Amerikanische Soldaten haben meistens nur eines im Sinn – ihren eigenen Arsch zu retten. Das macht sie nicht weniger brutal und mörderisch, aber etwas ehrlicher.

Was Vilsmaiers „Stalingrad“ vollends unglaubwürdig macht, ist der niemals abbrechende Blick auf eine Geschichte, die mit dem Wissen des heute Lebenden inszeniert ist. Das macht sich nicht nur an so kleinen Schnitzern fest wie an der Feststellung eines Soldaten, daß die über ihm tuckernde Ju52 wohl „der letzte Flieger“ aus Stalingrad gewesen sei. Der Film hat das Vermächtnis deutscher Alltagsgeschichtsforschung geerbt, die inzwischen den letzten Mitläufer zum Fast-Widerstandskämpfer aufgewertet haben dürfte. Die Figuren bewegen sich wie Marionetten an den Fäden ihrer eigenen Geschichte. Sie wissen, wo ihr Weg hinführen wird. „Stalingrad“ ist ein Mausoleum von Anfang an. Eine Geschichtsstunde. Hier erfährt man, was man ohnehin schon weiß. Die Hölle von Stalingrad ist weiß. Wenn man erfriert, spürt man seine kalten Füße nicht mehr. Auch ein Trost.

Das Gute am guten deutschen Menschen ist, daß er seinen Zynismus mit Barmherzigkeit verkleidet. Joseph Vilsmaier handelt wie seine Soldaten, die erst über den unmenschlichen Schießbefehl auf russische Zivilisten debattieren und dann doch die Karabiner anlegen.

Vilsmaier hat erst den Film gemacht, und jetzt entschuldigt er sich bei den russischen Einwohnern in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad. Das macht er natürlich nicht im Abspann. Da sind nur die toten und verschleppten deutschen Soldaten gewürdigt. Vilsmaiers Geste der Entschuldigung für sein 20 Millionen DM teures Schlachtengemälde ist diskreter. Die Einnahmen aus einer zum Kinostart angesetzten Benefiz- Vorstellung in Köln – Preis pro Karte 150DM – sind als Spende an die Wolgograd-Hilfe vorgesehen.

Joseph Vilsmaier: „Stalingrad“. Mit Dominique Horwitz, Sebastian Rudolph, Thomas Kretschmann, Jochen Nickel. BRD, 1993, 150 Minuten.

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