Ostberliner verschenken Geld an Vater Staat

■ Finanzämter erhalten nur wenige Lohnsteuererklärungen aus dem Osten der Stadt/ BVG-Urteil zu Existenzminimum bringt Finanzämtern unabsehbare Arbeit

Berlin. Die Bürger im Ostteil der Stadt überlassen dem Fiskus freiwillig gehörige Summen, die sie über die Lohnsteuererklärung wieder zurückholen könnten. „Wir haben einen sehr schleppenden Eingang von Anträgen in diesem Bereich“, erklärte gestern der Sprecher der Finanzverwaltung, Thomas Butz, auf Anfrage der taz.

Schon im vergangenen Jahr, als die Ostberliner zum ersten Mal ihre Formulare einreichen konnten, verzeichneten die Finanzämter des Landes kaum Zuwächse. Während von Januar bis November 1991 im Westteil 494.971 Anträge auf Lohnsteuerrückerstattung eingingen, waren es im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres im gesamten Stadtgebiet nur 31.819 mehr. Diese Quote kann sich noch erhöhen – schließlich bleibt den Ostberlinern noch bis Ende dieses Jahres Zeit, Ansprüche auf staatliche Rückzahlungen für das Jahr 1991 zu stellen.

Für den „Bund der Steuerzahler“ ein „unhaltbarer Zustand“, so deren Fachmann für Steuerfragen in Wiesbaden, Hans-Joachim Vanscheidt. Schon aus der alten Bundesrepublik wisse man, daß nur wenige ihr Recht auf Rückzahlung wahrnehmen würden. Vanscheidt: „Allein im vergangenen Jahr sind so nach unseren Schätzungen im gesamten Bundesgebiet 700 Millionen den Steuerzahlern entgangen.“ Schuld daran sei häufig nicht nur Unwissen, sondern auch das „komplizierte Steuerrecht“.

Neue Komplikationen für den Steuerzahler und Mehrarbeit für die Finanzämter bringt ein 1992 ergangenes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das zur Sicherung eines Existenzminimums notwendige Einkommen von der Besteuerung freizuhalten. Möglicherweise bedeutet dies mindestens 100.000 zusätzliche Steuererklärungen im Jahr. Um eine effektive Kontrolle dieser höchstrichterlichen Maßgabe zu erreichen, muß nämlich seit Beginn dieses Jahres nun jeder Kleinstverdiener sein Einkommen beim Finanzamt offenlegen. Wer als Alleinstehender bis zu 12.000 Mark und als Verheirateter bis zu 19.000 Mark verdient, bleibt demgemäß fast steuerfrei. Einkommen aus zusätzlicher Arbeit – etwa als Student oder Rentner mit einem Nebenjob – müssen jedoch versteuert werden.

Diese neue Regelung, die bisher nur als Verwaltungsanweisung des Bundesfinanzministerium vorliegt, entlastet nach Angaben des „Bundes für Steuerzahler“ zwar vordergründig die Bezieher kleiner Einkommen. Doch am Jahresende könnten viele ihr blaues Wunder erleben, wenn die ersten Nachzahlungen für zusätzlich erworbene Einkünfte über das Existenzminimum hinaus verlangt werden. Vanscheidts Rat: schon jetzt Geld zurückzulegen, um auf alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Severin Weiland