: Herzige Vereinfachungen-betr.: "Von Bayern lernen" von Götz Aly, taz vom 15.1.93
betr.: „Von Bayern lernen“
von Götz Aly, taz vom 15.1.93
Selten war ein so ignoranter Beitrag, wie der „Von Bayern lernen“, in der taz zu lesen. Es wird unter Verweis auf Zahlen der „Kölner Verfassungsschützer“ der absurde Versuch gemacht, die in Deutschland herrschende Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz mittels auf die Einwohnerdichte der einzelnen Bundesländer bezogener Quotienten zu quantifizieren. Dieses Verfahren, das u.a. in der Medizin zur Deskription von Inzidenz und Prävalenz bestimmter Krankheiten in einer Population angewandt wird, eignet sich zwar zur Beschreibung von in exakten epidemiologischen Studien gewonnenen Daten. Es wird dabei etwas gemessen bzw. gezählt, was durch Symptome und Befunde als Krankheitsbild wohl definiert ist. Wie aber steht es mit der Definition von Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz als Krankheit? Wie sind ihre Symptome und Befunde? Lassen sie sich exakt quantifizieren?
Nun, man wird zustimmen, daß sich eine scharfe Definition der „Krankheit“ Ausländerfeindlichkeit nicht geben läßt, wenngleich ihr Vollbild von jedermann leicht erkannt werden kann. Wie aber steht es um die schleichenden Verlaufsformen und die Vorstadien? Ab wann sind sie als solche zu erkennen, mithin zu erfassen?
Ausländerfeindlichkeit ist kein klar abgegrenztes Krankheitsbild, wie etwa eine Salmonellenvergiftung oder ein Herzinfarkt. Sie läßt sich nicht einfach zählen, genausowenig wie sie sich einfach mit Lichterketten aus der Welt schaffen läßt. Wichtiger als einer Prozentitis zu verfallen und hochtrabend kulturhistorische Werturteile zu konstruieren, die offensichtlich bar jeder Empirie zum Schluß kommen, in Bayern leben Ausländer weniger bedroht und verfolgt als in anderen Bundesländern, scheint es, gesunden Menschenverstand walten zu lassen und sich etwas gewissenhafter in die Geschichte unserer polyethnischen und multikulturellen deutschen und insbesondere bayerischen Vergangenheit umzusehen. Herr Aly möge doch selbst nach Bayern ziehen und sich hier um Ausländer kümmern, die sich nachts nicht auf die Straße trauen, weil man sie und ihre Kinder mit Steinen bewirft. Herr Aly kann doch nicht allen Ernstes behaupten wollen, daß ausgerechnet in einem Landstrich, wo – egal ob katholisch oder protestantisch – auch heute noch ein traditioneller Antisemitismus in den Köpfen nicht nur der „einfachen Leute“ lebt, paradiesische Zustände für Ausländer herrschen. Ist es etwa tolerant, wenn LehrerInnen schon in der ersten Klasse Grundschule von „besorgten“ Eltern wegen der hohen Ausländerquoten bestürmt werden, die Klassenzusammensetzung zugunsten der deutschen Kinder zu ändern. Ist es etwa besonders menschenfreundlich, wenn in bayerischen Schulen deutsche Kinder ihre schwarzen oder braunen Mitschüler bespucken oder verprügeln und überdies auch noch diejenigen deutschen Kinder, die, eingedenk ihrer toleranten Erziehung, den ausgegrenzten ausländischen Kindern beistehen, verprügeln? Ist es ausländerfreundlich, wenn in einem überwiegend von Kleinbürgern bewohnten Stadtteil einer bayerischen Universitätsstadt per Unterschriftensammlung die Errichtung eines Containerheimes für Asylsuchende verhindert wird? Hat Herr Aly vergessen, daß der erste Mord an einem Asylsuchenden, der in der Bundesrepublik Deutschland geschah, im Bayerischen begangen wurde, daß er aber nicht groß in die Medien kam und somit nicht spektakulär wurde, wie die überstrapazierten Lichterketten-Pflichtübungen in München? Es ist unerträglich, wenn ein Betroffener lesen muß: „in Bayern wählen die Leute zwar CSU, wissen aber ihre Interessen wahrzunehmen, wenn es um die Abschaffung der Konfessionsschule, um Wackersdorf oder um die Müllpolitik geht...“.
Der Schreiber weiß offensichtlich nicht, wie, gerade in bezug auf Wackersdorf, die bayerische Polizei gegen die Andersdenkenden vorgegangen ist, weil der selige Herr Strauß es so wollte, und, wenn er noch lebte, es noch wollte... In einem Bundesland, in dem jeder, der anders denkt, als es das offizielle C-Weltbild erlaubt, prinzipiell erst einmal kriminalisiert wird, hat es die geistige Toleranz sehr, sehr schwer, unendlich schwerer als in den protestantischen Ländern Deutschlands. Die Grünen werden sich erinnern und die Gegner der Wiederaufbereitungsanlage. Es ist auch kein Fall bekannt, daß etwa in Schleswig-Holstein irgendeine Schülerin oder ein Schüler mit allen Mitteln von höchst offizieller Seite verfolgt wurde, weil sie oder er eine Medaille trug, deren Aufschrift sinngemäß hätte lauten können: „Stoppt Engholm“! You know, what I mean. Daß München die Hauptstadt einer neuen Bewegung, etwa die der Toleranz, geworden sei, läßt sich wirklich nicht erkennen. Nein, in Bayern sind alle physisch oder geistig von nördlich des Mains Kommenden nach wie vor „(Sau-)Preißn“ und als solche Ausländer...
Schließlich noch ein Hinweis bezüglich der Akquisition des Zahlenmaterials, aus dem Herr Aly seine falschen Schlüsse ziehen zu müssen glaubt: wer garantiert denn für die Vollständigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben, die dem Verfassungsschutz als Übergriffe gegen Ausländer gemeldet wurden? Jeder, der des Katholischen mächtig ist, weiß: Bene vixit, qui bene latuit! Dr.Georgia Ch.Lichtenberg,
Ober-Ramstadt
Ja mei, lieber Herr Aly, solch herzige Vereinfachungen gehen einem als (protestantischem, seufz) Exil-Bayern in Berlin (und von wo san nachad Sie überhaupts?) natürlich erst mal sanft die Kehle hinunter, aber im Magen liegen's dann doch eher schwer: „Von Bayern lernen“ – durch Umwandlung bzw. (Re)Konversion aller bösen arbeitslosen protestantischen norddeutschen (Berliner inklusive) Arbeiter in gute „autonome“ katholische Bauern-Selbstversorger? Herrgott hilf! Peter Kultzen, Berlin
[...] Gerade der Katholizismus ist doch nicht besonders staatskritisch, wie in dem Artikel behauptet wird, sondern sehr hierarchisch und teilweise auch für rechte Strömungen empfänglich. Die Aussage, der Fremdenhaß sei in Ostdeutschland am schlimmsten und im Westen kaum ein Problem, kann als westdeutsche Arroganz gegenüber Ostdeutschen verstanden werden. Fremdenhaß läßt sich nicht nur mit einer Straftaten-Statistik ermitteln, sondern dabei muß auch die Mentalität der Menschen mit einbezogen werden. Und es läßt sich belegen, daß schon seit 1949 konstant mindestens zehn Prozent der Westdeutschen autoritär-nationalistisch denken.
Auch die norddeutschen Stadtstaaten sind leider nicht resistent gegen Neofaschismus. Zum Beispiel in Bremen, wo die DVU besondere Erfolge hat, gibt es relativ viele fremdenfeindliche Straftaten. Die Menschenrechtsverletzungen an Asylbewerbern durch Polizisten sind nur ein Beispiel, die Prozentzahl von 0,3 ist bestimmt nicht richtig.
Wenn die bayerischen Katholiken angeblich so weltoffen sind, wie paßt es dann zu den vielen Stimmen für die rechtslastige CSU und die rechtsextremistischen Republikaner?
Daß die Bürger der Großstadt München liberal sind, ist sicher richtig; für Gesamtbayern trifft das aber kaum zu. Stefan Biber, Köln
[...] Daß in Schleswig-Holstein mehr als viermal so viele fremdenfeindliche Übergriffe stattfinden als in Bayern (4,2:1), die Ausländerquote in Bayern doppelt so hoch ist und daraus wiederum eine Gefährdungsrelation von 8:1 besteht – also lieber verehrter Götz! Ein neues Nachdenken über Statistiken ist wohl nicht nötig, wissen wir doch alle, wie man mit Arbeitslosen-, Wirtschafts-, Lebenshaltungs-, Wohnungsmarktstatistiken etc. jonglieren kann. Mit der Erfolgskurve der NSDAP bei Wahlen zwischen 1928 und 1932 willst Du uns erklären, die Protestanten seien anfälliger für den braunen Spuk als die Katholiken?
Sowohl das Kapital als auch der geistige DVU-Unrat werden von Bayern aus bis ins Parlament von Schleswig-Holstein transportiert. Denn da sind die Hausfrauen der DVU überfordert – Arbeit macht Frey! Es sind CSU-Politiker und deren Nährboden, die seit Jahren als Scharfmacher in Sachen Asyl fungieren: Friedrich Zimmermann, der heilige FJS: „Ich würde jedem, der gegen eine Grundgesetzänderung ist, empfehlen, sein Haus den Tamilen zur Verfügung zu stellen.“ Dieses Zitat stammt aus tiefstem katholischem Herzen!
Und zu Deiner klugen Erläuterung über die Differenz zwischen Staat und Gesellschaft im katholischen Bayern: Die Lichterkette fand in München statt und nicht in Bayern! Das ist ein Unterschied!
Nach Deiner Lesart bringen die katholischen Münchner die Süddeutsche heraus – also ich setze dagegen, daß in Bremen diese Zeitung häufiger gelesen wird als im Landkreis Rosenheim oder in Passau.
Aber, Dein Kommentar ist symptomatisch für die ganze Gesellschaft: „Meine Damen und Herren, aufrücken! Gehen Sie ganz bis nach rechts durch!“
Die Verfassungsschutz-Statistik steht dem Gedankengut Edmund Stoibers naturgemäß näher als dem Erhalt eines Grundrechts unserer Verfassung. Daß die Sozialdemokraten wackeln, wissen wir nicht erst seit Günter Grass. Daß Du mit Deinem Beitrag an der taz- Gemeinde rütteln willst, ich denke, dieser Versuch ist kläglich gescheitert. Michel Schwarz, München
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