"Diese Seefahrt ist vorbei"

■ Kapitän a.D. Henning Puvogel weiß, warum Schiffe untergehen, und hat das aufgeschrieben

„Diese Seefahrt ist vorbei“

Kapitän a.D. Henning Puvogel weiß, warum Schiffe untergehen, und hat das aufgeschrieben

Regelmäßig, wenn im Fernsehn wieder mal die Nachricht über einen gesunkenen Supertanker oder eine rätselhafte Kollision auf hoher See kommt, ruft Herr Puvogel bei mir an. Herr Puvogel ist Seemann, hat das Kapitänspatent für Große Fahrt, fuhr Nordatlantik-Liniendienst auf Containerfrachtern und Feederdienst vor den Küsten Nord- und Südamerikas. Herr Puvogel kennt sich aus mit der christlichen Seefahrt und hat eine Menge Ideen zu der Frage, wie es zu diesen folgenschweren Seeunglücken kommen kann.

Einen Teil dieser Ideen hat er aufgeschrieben, verpackt in seinem fiktiven Erlebnisbericht von der „Letzten Fahrt der Scarabea“; im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen, die bestenfalls intern mal Dampf ablassen über die unglaublichen Zustände an Bord großer Seeschiffe auch unter deutscher Flagge, leistet es sich Herr Puvogel, auch Klartext zu sprechen. Die Kapitäne stehen überall Schlange vor den Heuerbüros; Herr Puvogel dagegen hat nach zwanzig Jahren Berufsschiffahrt in den Sack gehauen und bringt jetzt SegelschülerInnen die Gefahrenhalse bei.

„Unsere Reise ist zu Ende. Und auf einen Schlag begreife ich: Auch diese Seefahrt ist vorbei für mich, ein für allemal.“ So endet seine Erzählung vom Ende des Seelenverkäufers „Scarabea“, mit dem der Erzähler ein halbes Jahr lang zwischen Kolumbien und Houston (USA) hin und her pendelte. Eine nächtliche Kollision mit einem unbeleuchteten Schiff, das heimlich Bilgenöl lenzte, hatte die „Scarabea“ versenkt. Davor lagen Reisen unter unbeschreiblichen Bedingungen — was die Sicherheit an Bord, den technischen Zustand von Maschine und Aufbauten und die personelle Ausstattung angeht. Wochenlangm mußte mit dem Sextanten navigiert werden, weil die Navi-technik ausgefallen war. Motorstops im Kanal und auf hoher See waren die Regel. Halbverbranntes Schweröl kam aus dem Schornstein. Luken und Schotten waren nicht abzudichten. Mit allen möglichen Tricks und Winkelzügen wurde das Containerschiff dauernd mit — nach deutschen Gesetzen — illegaler Unterbesetzung gefahren, sowohl bei den Offizieren als auch auf Deck.

Und dabei galt für die Scarabea: „Noch weht hier nicht die Spiegeleiflagge“. Sie fuhr Schwarzrotgold am Heck. Der Knackpunkt: die fernen Reeder (“Das sind alles nur noch Transportarrangeure an Land, die nicht mehr wissen, was auf den Schiffen los ist“) geben kostensparende Order, und der Kapitän, der zwar das Elend sieht, aber durch Zulagen gekauft ist, exekutiert diese.

„Die Meere werden immer voller, die Zahl der Schiffe unter Billigflagge immer größer. Jeder Kapitän, jeder Wachoffizier weiß, was heute auf See los ist; über 'Beinah-Kollisionen' redet man nicht. Befreundete, noch fahrende Kapitäne und Chiefs haben mich ermutigt, dieses Buch zu veröffentlichen.“ Sagt Herr Puvogel über sein Buch, für das er vier Jahre lang einen Verleger suchte.

„Die letzte Fahrt der Scarabea“ ist mitnichten eine statistisch abgesicherte Anklageschrift: Herr Puvogel schreibt (ausdrücklich) in der Tradition eines B.Traven, indem er seine Klagen in einem Abenteuerbericht verpackt. Da geht es um Drogen, Huren, Haue, Männerfreundschaft, blinde Passagiere und Karibikromantik. Allerdings liegt die Stärke des Autors durchaus mehr im Beschreiben von Anlegemanövern als von Liebe und Leidenschaft (“Brünstig stöhnend schlingt sie die Beine wie dicke Schlangen um mich und walkt mich durch.“) Doch spannend zu lesen ist das Buch.

Und einen Platz in der aktuellen Diskussion um Sicherheitsstandards in der Seefahrt und die Ursachen der fürchterlichen Unfälle hat das Buch allemal. Allein um sich mal ein paar der Tricks erzählen zu lassen, wie gültige Vorschriften umgangen werden: wie etwa die Sollzahl der Besatzungsmitglieder ein paar Seemeilen vor dem Einlaufen in den Hamburger Hafen um 100% aufgestockt wird — die deutschen Behörden „sind ja so pingelig“.

Bus

Henning Puvogel, Die letzte Fahrt der Scarabea, Bremen: Hauschild, 1992, DM 36.-