: „Sie bringen uns nicht zum Schweigen“
Der türkische Journalist Ugur Mumcu, der am Sonntag Opfer eines Sprengstoffanschlages wurde, war „ein Feind der Fundamentalisten, der Reaktionäre und der Waffenschmuggler“ ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
„Dank unserer Regierungen ist journalistische Tätigkeit in der Türkei ein Flirt mit dem Tod“, schreibt der Vorsitzende des türkischen Presserates Oktay Eksi in seiner gestrigen Kolumne in der auflagenstärksten Tageszeitung Hürriyet. Er weist auf einen unrühmlichen Rekord hin: in der Türkei sind binnen eines Jahres 14 Journalisten umgebracht worden. Nahezu alle türkischen Zeitungen haben heute ihre ersten Seiten ausschließlich dem Mord an dem bekannten Journalisten Ugur Mumcu gewidmet, der am Sonntag Opfer eines Sprengstoffanschlages wurde.
„Sie werden uns nicht zum Schweigen bringen“ schlagzeilt Hürriyet, die ein Portraitfoto des Ermordeten und ein Foto seiner zerfetzten Leiche auf der ersten Seite plaziert. Die renommierte Tageszeitung Cumhuriyet, für welche Mumcu seit über 13 Jahren Kolumnen verfaßte, fordert: „Faßt die Mörder, zieht sie zur Rechenschaft.“ Obwohl die Politiker schneller als bei anderen politischen Morden reagierten – nicht nur der Gouverneur von Ankara und sein Polizeichef, sondern auch Ministerpräsident Süleyman Demirel, sein Vize Erdal Inönü, der Verfassungsgerichtspräsident und der Generalstabschef Dogan Güres eilten zum Tatort – will die Kritik in der Presse nicht verstummen. Der Äußerung des Innenministers Ismet Sezgin, es sei eine Ehrensache für den türkischen Staat, die Täter zu fassen, will niemand so recht Glauben schenken. Die Staatsspitzen, die die Redaktion der Zeitung und den Tatort besuchten, wurden von empörten Lesern und Freunden des Ermordeten in die Enge getrieben. „Stellt mir keine Fragen. Er war wie ein enger Verwandter. Ich fühle mich schlecht“, gab Generalstabschef Güres kleinlaut von sich: Er ist ein knallharte Falke in der Kurdistanpolitik des türkischen Staates.
Im Gegensatz zu den ermordeten kurdischen Journalisten der Tageszeitung Özgür Gündem war Mumcu ein etablierter Kolumnist, der auch gute Kontakte zu den Staatsspitzen unterhielt. Nichtsdestotrotz waren seine Kolumnen, die Schnittstellen von Politik und Verbrechen zum Gegenstand hatten, von den Politikern gefürchtet. Mumcu deckte Korruptionsaffären türkischer Politiker auf, recherchierte über Drogen- und Waffenhandel und über islamisch- fundamentalistische Terroristen. Doch auch die kurdische Guerilla PKK, die „Arbeiterpartei Kurdistans“, der er Beziehungen zur Drogenmafia vorwarf, war Zielscheibe seiner Kritik. Unstreitbar war Mumcu der führende Terrorismus-Experte in der Türkei, der jeden politischen Mord recherchierte. Todesdrohungen war der fünfzigjährige Autor, der stets mit Waffe und kugelsicherer Weste das Haus verließ, gewohnt.
Die Ermittlungen, die der Oberstaatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes Ankara führt, konzentrieren sich mittlerweile auf islamisch-fundamentalistische Terrororganisationen, die mutmaßlich auch zwei bekannte Laizisten, die Universitätsprofessorin Bahriye Ücok und den Journalisten Turan, Dursun umbrachten. Die „Islamische Befreiungsorganisation“, bei der es sich um einen Ableger der iranischen Terrorgruppe „jihad“ handeln soll, hat in einem Bekennertelefonat die Verantwortung für das Attentat übernommen. Der Oberstaatsanwalt glaubt, daß „das hochprofessionelle Attentat“ von einer international operierenden islamisch-fundamentalistischen Terrororganisation durchgeführt wurde. „Da stecken ganz sicher Ausländer hahinter“, sagte der Staatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes Demiral. Für diese Vermutungen spricht, daß ein Jahr zuvor eine ähnliche Autobombe an dem Wagen des Sicherheitsbeauftragten der israelischen Botschaft angebracht wurde.
Doch politische Freunde des Ermordeten warnen vor voreiligen Verurteilungen, solange die Täter nicht gefaßt sind. Zu heterogen war der potentielle Täterkreis. „Er war der Feind der Fundamentalisten, der Reaktionäre und der Waffenschmuggler“, titelt Cumhuriyet einen Artikel zum Mord an Mumcu. Der Umstand, daß die Ermittlungen bei politischen Morden stets im Sande verlaufen, läßt bei türkischen Kommentatoren den Verdacht aufkommen, daß auch Teile des Staatsapparates die Mörder decken. Ein Spezialthema des getöteten Kolumnisten war die „Counter-Guerilla“ und das Amt für besondere Kriegsführung der türkischen Armee. Ein Staat im Staate, der von oben gedeckt Terrorakte durchführt. Mumcu publizierte über Folterteams nach dem Militärputsch 1980, die sich aus Offizieren des Amtes für besondere Kriegsführung und Mitgliedern des türkischen Geheimdienstes zusammensetzten. Der Verdacht, daß insbesondere bei der Ermordung der kurdischen Journalisten der Tageszeitung Özgür Gündem, staatliche Kreise mitwirkten, liegt nahe.
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