: Wo die Politik die Literatur umarmt
■ Verleihung des Bremer Literatur-und Förderpreises an Georges-Arthur Goldschmidt und Hans-Ulrich Treichel
Georges-Arthur GoldschmidtFoto: Jörg Oberheide
Zwei gebrannte und gedemütigte Kinder — inzwischen einigermaßen erwachsen geworden - haben gestern den Bremer Literaturpreis und den Förderpreis entgegengenommen. Georges- Arthur Goldschmidt (geb. 1928) für seinen dritten autobio
graphischen Roman über eine zerdrückte Kindheit: „Der unterbrochene Wald“ und Hans- Ulrich Treichel (geb. 1952) für den Versuch der Bewältigung seiner „biographischen und geographischen Wurzellosigkeit“, seiner ersten Prosaschrift: „Von
Leib und Seele — Berichte“.
Beide Vergaben des bundesweit anerkannten Preises müssen im Kontext der sich verschärfenden Ausländerfeindlichkeit und politischen Ignoranz in der Asyldebatte gesehen werden. Georges-Arthur Goldschmidt, in Hamburg geboren, emigrierte als 11jähriger nach Frankreich, wo dem jüdischen Jungen in einem Kinderheim von französischen Wärterinnen das Leben gerettet worden war. Er selbst sagte in seiner gestrigen Dankesrede, daß er in der Auszeichnung zugleich die Anerkennung von Verfolgung und Emigration als Bestandteil der deutschen Literatur sehe.
Hans-Ulrich Treichel, dessen Eltern als Polendeutsche, als Nachkriegs- „Vertriebene“, in Westfalen niemals wirklich anerkannt waren, beschreibt die Ungeborgenheit einer Kindheit, die von dem Gefühl des Ungenügens und Nicht- Verstandenseins, des aufgezwängten und dann genüßlich-resignativ anerkannten Andersseins geprägt ist.
Die Auswahl der Preisträger — die Familie des einen aus Deutschland, die des anderen nach Deutschland vertrieben — setzt ein aktuelles politisches Zeichen. Von der literarischen Seite her allerdings ist sie einigermaßen ernüchternd.
Beide Autoren sind von einem exhibitionistischen Narzißmus gedrängt, der dadurch verschärft wird, daß sich sowohl Treichel als auch Goldschmidt einer radikalen sprachlichen Auseinandersetzung mit ihrer als so schmerzlich empfundenen Biographie letztlich entziehen.
Hans-Ulrich TreichelFoto: J.O.
Goldschmidts oft ins Diffuse abgleitendes poetisches Psychogramm eines ausgelieferten, gequälten und süchtig masochistischen Jungen, schön distanziert „das Kind“ genannt (ebenso, wie Goldschmidt auch in seiner Rede von sich als „dem Kind“ sprach), wird immer wieder abgebrochen, bevor es zu einer wirklichen Analyse oder auch nur einem handfesten Erzählen kommt. Dafür gibt es an den Bruchstellen ausschweifende, aber sinnlich schwer nachvollziehbare Landschafts- und Gegenstandsbeschreibungen, die durch ihre pseudosymbolische Überhöhung Bedeutung erhalten sollen. (Eines der vielzitierten Beispiele, gleich auf der ersten Seite: “Über ihre ganze Breite ist die Fahrbahn am Horizont verfranst von der Berührung des Himmels“).
Hans-Ulrich Treichel wiederum, dessen Preisredner Herbert Heckmann gestern immer wieder betonte, wie amüsant und gar nicht wehleidig „Von Leib und Seele“ sei, ist ein so geschickter Thomas Bernhard- Imitator, bis in die Wortwahl und typischen Wiederholungsstrukturen hinein, daß seine „Berichte“ nur dann ernstzunehmen wären, hätte Treichel seinen Stilvater in irgendeiner Weise gegrüßt. Das aber ist bei den acht Prosastücken, deren banale Lebensunglücke durch eine vordergründige Ironie nur scheinbar gebrochen werden, nicht der Fall. Cornelia Kurth
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