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Nachschlag

■ Das Archie Shepp Quartet im Quasimodo

„Er war kein politischer Mensch“, sagt Archie Shepp über seinen Mentor John Coltrane, „aber er war ein Musiker. Und als Musiker war er Revolutionär.“ Dann setzt er das Sopransaxophon an die Lippen, überlegt kurz, wo er die Zunge deponieren soll, und bricht in eine inbrünstig-herzzerreißende Version von Coltranes „Alabama“ aus.

Es gab Zeiten, da hätte der mittlerweile 55jährige zornige junge Mann des Jazz eine solche Unterscheidung zwischen Musik und Politik kaum gelten lassen. Jeder Ton war revolutionäre Botschaft, in seinen Stücken huldigte er Malcolm X und Mao Tse-tung, die Befreiung der Musik von ihren traditionellen Fesseln war für ihn eng verbunden mit der Befreiung des unterdrückten Menschen. Kein anderer tat so viel für die Politisierung des Jazz wie Archie Shepp. „Wir müssen die Musik des Volkes spielen“, hatte er einst postuliert, „sonst sind wir nichts als bourgeoise Snobs.“ Die Musik seines Volkes ist heute jedoch eindeutig der Rap, und so weit mag Shepp nun doch nicht gehen, obwohl er mit seinem Saxophon wie kaum ein anderer sämtliche Möglichkeiten des Jazz ausgelotet hat.

Für Überraschungen ist er jedoch stets gut. Diesmal ist es der extensive Gebrauch der sonoren Stimme, die der Musikprofessor aus Massachusetts in seiner langen Karriere meist etwas stiefväterlich behandelt hatte. Mal mit sanftem, fast an Chet Baker gemahnendem Timbre, mal mit der Wucht eines James Brown gibt er sich auf der Bühne des Quasimodo ausgiebig dem Gesange hin. Zwischendurch grinst er gutgelaunt wie ein frischverliebter Springinsfeld, rollt Satchmo-gleich die Augen, bläst die Backen auf, als wolle er Dizzy Gillespie in dieser Disziplin noch posthum den Rang ablaufen, und spielt eines seiner luftig-dynamischen Saxophon-Soli, die an guten Tagen jedes noch so bescheidene Etablissement in eine prachtvolle Kathedrale des Jazz verwandeln können.

Horace Parlan sitzt derweil am Piano, lächelt stillvergnügt vor sich hin und spielt seine linkshändigen Läufe, während die kindergelähmte Rechte hin und wieder ein paar Akkorde dazwischenhämmert. Den Baß zupft solide Paulo Cardoso, der aussieht, als würde er sonst am Strand von Acapulco schmutzige Bildchen verkaufen, am Schlagzeug werkelt massiv und berserkerhaft „the electrifying, wonderful“ Steve McCraven.

Für Soli ist jedoch kaum Platz in Archie Shepps Ensemble. Es singt und spielt der Meister, die anderen begleiten ihn. Zweieinhalb furiose Stunden lang präsentiert das muntere Quartett einen Reigen aus Klassikern, eigenen Kompositionen und eigenen Kompositionen, die längst Klassiker sind.

Und wenn Shepp dann listig feixend seine schwarze Black-Power-Sonnenbrille auf die Nase setzt und schier berstend vor Vitalität einen schmissigen Boogie-Woogie trällert, ist auch dem letzten im prallgefüllten Saale klar: Als Revolutionär ist Archie Shepp ein Musiker. Matti Lieske

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