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"Wir müssen an Herz und Bauch ran"

■ An den Schulen hat der Rassismus zugenommen. Die meisten Lehrer fühlen sich dieser neuerlichen Herausforderung nicht gewachsen.

„Wir müssen an Herz und Bauch ran“

...Ziel muß die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten.“(Paragraph1

des Berliner Schulgesetzes)

Sie schmieren Hakenkreuze an Schulwände und schmücken Ranzen mit „Ausländer Raus“-Parolen. Sie sitzen im Unterricht in T- Shirts mit Reichskriegsflagge, und wenn ihnen ein Lehrer blöd kommt, beschimpfen sie ihn als „ollen Juden“. Jugendliche toben ihre autoritär-nationalistische Gesinnung nicht nur auf der Straße aus. Ausländerhaß, Antisemitismus und Rechtsextremismus machen sich auch an Schulen breit.

Im gesamten Bundesgebiet stellt der Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine wachsende Gewaltbereitschaft und Fremdenfeindlichkeit unter SchülerInnen fest. Eltern gucken erschrocken auf ihre Sprößlinge und rufen nach der Schule als Erziehungsinstanz. Auch Politiker meiden den Blick vor die eigene Tür und schielen auf die Pädagogen. Doch die sind überfordert und im Dilemma: In der Zwangsanstalt Schule lassen sich Demokratie und Toleranz nur schwer lernen.

Jean-Jerom Chico-Kaleu Muyemba steht vor einer Klasse 13jähriger. Projektstunden an einer Westberliner Schule – er übernimmt die Rolle des „Ausländers zum Anfassen“. Die Kinder, hofft der Schwarzafrikaner, können so Vorurteile und Angst abbauen lernen. „Wieviel Prozent Ausländer gibt es in Deutschland“, fragt er die SchülerInnen. Zahlen zwischen ein und vierzig Prozent schwirren durch den Raum. Muyemba will korrigieren: „Ich will nicht hören, was du sagst“, schreit ein Junge, „ich will dich nicht sehen!“

Erhard Laube ist GEW-Vorsitzender in Berlin. „Ungeachtet politischer Versäumnisse“, sagt er, „haben Lehrerinnen und Lehrer eine besondere Verantwortung. Und wenn man sie an ihrem eigenen Anspruch mißt, haben sie versagt.“ Als pädagogische Antwort auf die Entwicklung der Kids propagiert der Gewerkschafter emanzipatorische Erziehungskonzepte, wie sie fortgeschrittene Pädagogen seit Jahren fordern. Denn in der Regel sei Schule so aufgebaut, „daß sie selbst zur strukturellen Gewalt beiträgt“.

Ihre auf Wissensvermittlung ausgerichtete Struktur verhindert soziale Erfahrung, statt sie zu fördern. Wo Konkurrenz und Leistungsdruck herrschen, ist für Solidarität und Gemeinsinn kein Platz. Eine alternative Schule muß nach Ansicht der pädagogischen Reformbewegung multikulturell und projektorientiert sein, Ausländer und Behinderte integrieren, „Schule ohne Ausgrenzung“ sein. Gerade in Berlin mit seinem hohen Ausländeranteil – im letzten Schuljahr waren von 374.610 SchülerInnen an Allgemeinbildenden Schulen 45.950 Nicht-Deutsche – gibt es solche Modelle seit mehr als einem Jahrzent. Doch ihre Akzeptanz nimmt unter Bildungspolitikern und Eltern eher ab als zu.

Trotzdem sieht auch der Jugendforscher Wilhelm Heitmeyer in solchen Ansätzen den richtigen Weg. „Belehrung kommt gegen Erfahrung nicht an“, schreibt er. Wenn ernsthaftes Interesse an der Bearbeitung rechtsextremistischer Orientierungen bestehe, spielten die Sozialformen, das Unterrichts- und Schulklima eine zentrale Rolle. Denkverbote und Stigmatisierung dürfe es nicht geben. „Sinnvoll erscheint mir dazu ein Konzept, in dem einerseits die Personen nicht ausgegrenzt und gleichzeitig die Positionen radikal bekämpft werden.“

Das scheinen auch Anhänger der alten Penne mehr und mehr zu begreifen. Was die antiautoritäre Bewegung nicht schaffte, haben die autoritäts-fixierten Kids erreicht: konservative Bildungspolitiker und -beamte entdecken das Prinzip des schülerorientierten Unterrichts. „Wir müssen zuhören, zuhören und nochmal zuhören“, verkündet Wilfried Seiring, leitender Oberschulrat bei der Berliner Schulaufsicht. „Wir müssen an die Herzen und den Bauch ran. Nur so kann man Einstellungen ändern und zu einem anderen Verhalten erziehen.“

Dabei spiele die Person des Lehrers eine entscheidende Rolle, Lehrerfortbildung sei dringend nötig. Doch Hartmut Hermanns vom Pädagogischen Zentrum Berlin registriert ein zwar wachsendes, aber nicht umwerfendes Fortbildungsinteresse der Pädagogen.

Mit Aufklärungskampagnen, Beratungs- und Fortbildungsangeboten will das Bildungsministerium in Brandenburg den Auftrieb der Rechten dämpfen. Es verdonnerte die 460 SchulleiterInnen des Landes zu Seminaren beim Pädagogischen Landesinstitut (PliB). Die übrige Lehrerschaft aber sperrt sich. „Fortbildung in diesem Bereich wird so gut wie gar nicht wahrgenommen“, beschwert sich Michael Preuss vom Ministerium in Potsdam. Trotz der wenigen Ausländer im Land – gerade mal 2.000 von 280.000 SchülerInnen sind fremdsprachig – vermutet er auch in der Lehrerschaft „Vorbehalte gegen Fremde“.

Jean-Jerome Chico-Kaleu Muyemba steht vor einer Klasse 13jähriger. Er fordert die Kinder der Cottbusser Schule auf, ihm Fragen zu stellen. Doch soweit kommt es nicht. „Ihre Anwesenheit stört mich“, faucht ihn ein Mädchen an. „Wie sind Sie hergekommen, und wann gehen Sie wieder?“ Der Klassenlehrer sitzt daneben und schweigt.

In Desinteresse und Abstinenz der Ostpädagogen sehen Lehrerfortbilder das größte Defizit für eine antirassistische Erziehung in den neuen Ländern – und einen entscheidenden Unterschied zu den Problemen im Westen. Von neuen Anforderungen irritiert und frustriert zieht sich ein Großteil der Ostpädagogen aus der Auseinandersetzung mit den Jugendlichen zurück. „Wir sind Fachlehrer, wir vermitteln Wissen, sonst nichts“, lautet die Standardformel.

Das dadurch entstehende Erziehungsvakuum ist für die Schüler das größte Problem. Viel schwerwiegender als der Verlust an Glaubwürdigkeit, den viele Ostpädagogen durch ihre Verstrickung ins System hinnehmen mußten. „Lehrer, die vor der Wende o.k. waren, sind es auch heute noch. Und die Idioten sind auch dieselben geblieben“, erzählen SchülerInnen in Brandenburg, „aber Erziehung findet bei uns nicht mehr statt.“ Ausländerhaß und Gewalt möchten die Lehrmeister ganz simpel mit Verboten begegnen. „Es ist schon merkwürdig“, wundert sich Klaus Schuricht, Referent des PliB, „wie alte DDR- Tugenden in bizarrer Weise neu erblühen.“ „Ordnung, Autorität und Disziplin“ sei das Credo aller Lehrer, die zur Fortbildung kämen. „Was wir versuchen müssen, ist eine Quadratur des Kreises“, seufzt Eberhard Laube. „Da sollen wir mit einer gewaltfördernden Institution etwas gegen Gewalt und Rassismus tun. Schule kann doch nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft sein.“

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