: "Musik, die anders arbeitet"
■ Die Berliner Band Mutter veröffentlicht im März ihre zweite LP / Ein Gespräch mit Sänger Max Müller über Abgrenzung als Standpunkt und den Anspruch auf Realität
INTERVIEW
»Musik, die anders arbeitet« Die Berliner Band
Mutter veröffentlicht
im März ihre zweite LP/Ein Gespräch mit
Sänger Max Müller über Abgrenzung als
Standpunkt und den Anspruch auf Realität
Der Kleinkrieg von „Mutter“ geht weiter. Nach „komm“ beschreibt die im März erscheinende LP „Du bist nicht mein Bruder“ das Verhältnis zu den „Brüdern und Schwestern im Osten“ aus der Sicht von Max Müller. Taz-Autor Harald Fricke sprach mit ihm über weitere Innen- und Außenwelten.
Du benutzt in deinen Texten keine Metaphern, sondern gibst überwiegend zwischenmenschliche Bezüge und soziale Verhältnisse wieder. Ist Direktheit wichtig für die Position von „Mutter“?
Ja.
Überläßt du damit den Hörer nicht seiner eigenen Befindlichkeit?
Vielleicht ist es nicht immer ganz so einfach, hinter die Songs zu steigen. „Ich bin Er“ baut einen vollständigen Film auf: Es geht um Attentäter, solche wie die Streibel oder den Schäuble-Attentäter, mit denen sich eine neue Qualität des politischen Attentats ergeben hat.
Deine Stimme verleiht diesen Charakteren einen hohen Grad an Intimität.
Naja, das ist eine Frage der Mischung. „Ich bin Er“ klingt ausnahmsweise anders als der Rest der Platte, weil dort der Gesang wie eine Erzählung wirken sollte.
Das Spiel mit den Identitäten der Personen, mit Opfer und Täter ist verwirrend. Ausgrenzung und Identifikation gehen fließend ineinander über.
Ich ergreife sporadisch Partei, doch ohne jede Wertung. Ich könnte mir in diesem Augenblick vorstellen, alles und jeder zu sein. Nicht aus Verständnis für die anderen Menschen, sondern einfach aus der Tatsache heraus, daß es bei mir genauso hätte laufen können. Dann wäre ich eben an der Stelle des Attentäters.
Neben den Texten setzt auch die Musik weniger auf Abstraktion und mehr auf Nähe?
Es war immer unsere Idee, die Stücke nicht abstrakt zu machen, sondern so absolut real, daß es im Grunde nichts mehr daran herumzudeuteln gibt. Wenn du die Texte liest, hast du die Wörter, und sie meinen nichts anderes. Bloß, die Leute sehen das gar nicht so, die interpretieren „jucken“ und „kratzen“ als Umgang mit der Gesellschaft. Das ist zwar schön, aber nicht gemeint. Trotzdem ist es gut, wenn die Songs dadurch diese Veränderung kriegen, daß niemand glauben will, was hier konkret ausgedrückt ist und immer nach etwas anderem sucht. Es geht darum, Dinge zu sehen und darüber lachen zu können, die einem im ersten Moment gar nicht so lustig vorkommen. Oder sie aus einer Warte zu betrachten, aus der sie an Wirkung verlieren.
Die Glaubwürdigkeit der Songs hängt stark von der Banddichte ab. Sind die Stücke im Grunde Texte, die von der Musik verstärkend getragen werden?
Ja, das ist schon so gedacht. Deswegen macht die Musik ja auch einen großen Teil der Atmosphäre aus, sonst würde manches wahr-
1scheinlich blöd oder peinlich klin- gen. Gerade in der Verbindung Musik/Text spielt Ironie mit. Wir haben auf der neuen LP zum ersten mal Akustikgitarren und selbst Swingpiano ausprobiert, was anderswo leicht schrecklich klingen könnte. Aber wir haben die Gewißheit, daß es bei „Mutter“ paßt.
Weil ihr euch keine feste Form vorgeben laßt?
Wir müssen uns nicht darum kümmern, Platten zu verkaufen. Wir haben ganz bestimmte Leute, die uns mögen. Und wir erreichen diese Leute und nicht irgendwelche Hörer. Die Musik schließt das allgemeine Interesse schon von selbst aus. Du kannst „Mutter“ ja nicht einmal als Krach hören, dazu ist die Musik zu direkt und die Texte zu konkret. Wir haben einen anderen Status als sonstige Bands, wir stehen ziemlich außerhalb und haben keine Verpflichtungen. Das ist ein
1guter Standpunkt. Deshalb könnten wir wahrscheinlich auch A-Capella auftreten, wenn genügend Kraft und Energie da sind. Es ist nicht einfach nur Krachmusik, die Stücke sind durchkonstruiert, auch wenn sie nicht den Eindruck erwecken. Aber da steigt nirgendwo zufällig mal ein Instrument ein und mit dem nächsten Break wieder aus.
Der Sound funktioniert fast symphonisch, also nach komplexen Kommunikationsstrukturen?
Das war unsere Idee von Abgrenzung. Ich finde es nun mal langweilig, nach Kategorien zu spielen und dann so etwas wie Metal zu machen: bloß gut und technisch perfekt. Ich will Musik, die anders arbeitet. Am Anfang war die Idee, auf deutsch zu singen: Langsame Musik, deutsche Texte, dadurch haben wir etwas eigenes geschafft.
Du benutzt Sprache als Kunst, aber nicht als Kunstsprache?
1Ich benutze auf Platte keine an- dere Sprache als sonst auch, mich interessiert eben das Ordinäre. Die Dinge sollen so auf den Punkt gebracht werden, daß es noch einigermaßen logisch klingt und unterhält. Die Leute sollen Schwankungen miterleben, darüber geteilter Meinung sein können.
Spielt ihr deshalb gerne live?
Ich mache Musik bestimmt nicht wegen der Schallplatten. Die Aufnahmen empfinde ich eher als lästig, da frage ich mich viel zu sehr, ob alles richtig klingt und ob der Sound richtig eingestellt ist.
Dann haben eure Auftritte mit der Plattenproduktion nichts zu tun?
Das sind zwei völlig separate Dinge. Ich will nur mit beiden zufrieden sein können, und nicht sagen müssen: „Naja, die Platte ist nicht so doll, aber du mußt uns mal live spielen sehen.“ Wir können auf der Bühne auch gar nicht all die
1Instrumente benutzen, die auf Platte eingesetzt sind, was ich aber nicht für besonders wichtig halte. Ein Konzert muß so viel Energie haben, daß du nicht zusätzlich noch eine Orgel brauchst, um Stimmung zu machen. In der sterilen Studioatmosphäre paßt sie aber ganz gut und verstärkt den Druck. Im Studio kann alles geopfert werden, wenn es der Stimmung zuträglich ist.
Trotzdem tretet ihr nicht oft auf?
Eigentlich wenig. Da müssen nun mal auch die finanziellen Sachen stimmen. Ich fahre nicht für 1000 Mark durch ganz Deutschland, weil dort der Laden so toll sein soll. Dazu finde ich Konzerte zu anstrengend. Ich weiß gar nicht, ob die Tour für zwei Wochen im März überhaupt hinhaut. Wir nehmen ja keine Drogen.
„Mutter“ spielt in der Reihe „Hörproben“ gemeinsam mit „Motion“ am 9. Feburaur, 21.30 Uhr im Logo
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