Das Leben biegt sich, bricht und schmerzt

■ Nach Hause geht man nur zum Sterben. Deswegen ist der Sänger, Dichter und Live-Erzähler Henry Rollins immer unterwegs

immer unterwegs

Eines kann man von Henry Garfield, besser bekannt als Rollins, sicherlich nicht sagen: daß er ein stiller Mensch wäre. Das deutete sich schon an, als er, vor gut zehn Jahren - als Zuschauer - zum ersten Mal auf die Bühnenbretter sprang, um bei einem Konzert der kalifornischen Ur-Hardcoreband Black Flag ungefragt ins Mikro zu brüllen. Als deren Sänger festigte er dann sein Ego, bis ihm, nach dem Bandsplit 1987 endlich die maßgeschneiderte Position des uneingeschränkten Bandleaders zuteil wurde: in seiner eigenen Combo. Mit der Rollins Band veröffentlichte Henry Platten auf seinem eigenen Label (seit zwei Jahren im warmen Schoß der Industrie); Texte voll aggressiver Bitterkeit („Gun in Mouth Blues“) untermalte metallischer Hardcore in wuchtiger Schwere.

Hinzu kommen mittlerweile ein Dutzend Bücher mit Gedichten, Anekdoten, Weisheiten, ebenfalls im Eigen-Verlag. Zu diesem Leben für den Output gesellt sich Rollins' rasende Unstetigkeit. „Wenn ich zu lange an einem Ort bin, und Leute wissen, daß sie mich dort erreichen können, bekomme ich echte Paranoia. Am besten geht es mir unterwegs.“ Eine ständige Flucht? „Es ist eher die Bewegung an sich, die ich brauche. Ich mag das Leben nicht allzusehr, also beschleunige ich es um zu sehen, wo es sich biegt, bricht und schmerzt. Ich bekomme meine Kicks auf Tour, Zuhause ist ein Platz, den man zum Sterben aufsucht.“

Und so hat Rollins, die fleischgewordene Dynamik, viel zu erzählen von seinem „Boxed Life“ (Titel der aktuellen „Spoken Word-CD“), dem Leben von (Hotel-)Box zu Box. Ob Flughafen oder Backstage, er beobachtet genau. Und fand so seinen dritten Auslaß: zu Musik und Texten gesellen sich gesprochene Worte aus dem Alltag eines nach eigenem Bekunden „kaputten Freaks“, der aus den menschlichen Schwächen, aggressiv und ohne jegliche Leichtigkeit einen Humor zieht, der von nichts anderem kündet als der bemerkenswerten Weltsicht eines mittendrin und doch Außenstehenden. Fazit: „At the end of the day, all you have is yourself and your mind“ (aus dem Song „Low Self Opinion“).

„Die Menschen, die ich brauche, bezahle ich auf Stundenbasis. Ich brauche Leute für meinen Verlag – ich bezahle sie. Ich brauche Leute um Musik zu machen – ich bezahle sie.“ Was ist mit Freunden? „Ich habe keine Freunde. Ich will auch niemanden nah bei mir, möchte nicht, daß mich jemand kennt oder gar vermißt.“

Wie die Welt aussähe, wenn man auf diese Einstellung den Kant'schen Leitsatz zur Übertragung des eigenen Weges auf die Gesellschaft anwenden würde, ist Rollins allerdings auch klar: „Naja, das wäre sicher kein allzu gesunder Platz. Die Leute müssen wohl in Bars gehen und sich über das Wetter und den letzten Bruce-Willis- Film unterhalten und Bäuche kriegen und ihre Haare verlieren und sich wundern warum - zusehen wie ihr Leben zerfließt, das ist toll für sie, aber nicht für mich. Es hat nichts mit Menschenfeindlichkeit zu tun, viele Leute schreiben mir und ich antworte ihnen gerne. Wenn meine Texte oder meine Musik etwas bewirken, vielleicht Leute vom Selbstmord abhalten, dann ist das wunderbar, aber wenn Leute nur zu mir aufschauen und oh und ah sagen, davon werde ich krank. Ich mache es nicht, weil es Rock'n'Roll Superstardom ist, sondern weil ich kaputt bin. Ich schreibe und spiele, weil ich den riesigen Haufen Scheiße in mir loswerden muß - und wenn das mal erledigt sein sollte, dann singe und schreibe ich nicht mehr, mache keine Talking Shows mehr, sondern suche mir einen Job im Gemüseladen.“

Bis zu diesem Sankt Nimmerleinstag praktiziert Rollins allerdings weiterhin die öffentliche Eigentherapie, frei nach seiner Selbstbeschreibung: „Not happy, but funny“. Holger in't Veld

4.2., Markthalle, 21 Uhr