: Das schönste Wort für "schrecklich"
■ Unterricht in Fluxus: Der amerikanische Künstler Ben Patterson ist derzeit als Gastdozent in Hamburg
: Der amerikanische Künstler Ben Patterson ist derzeit als Gastdozent in Hamburg
Wenn in Hamburg in der nächsten Woche die neuen Medien in ihrer Bedeutung für die Kunst gefeiert werden, braucht es dafür einen stark prozeßorientierten Kunstbegriff, dessen Wurzeln immerhin achtzig Jahre zurückreichen, dessen spezielle Quelle aber im Fluxus zu finden ist. Aus dieser Bewegung stammt der Begriff Konzept selbst, damals wurden die Mail-Art, das Multiple und die Videokunst erfunden. Nam June Paik stellte im Oktober 1965 das erste Künstlervideo her. So völlig unterschiedliche Künstler wie Joseph Beuys und Laurie Anderson prägten beziehungsweise sind von der Fluxusbewegung geprägt.
Der September 1962 gilt als Geburtstag der Bewegung. Die deutschen Medien tauften ein ganzes Spektrum von Aktiven aus Musik und Kunst mit dem Namen einer Wiesbadener Veranstaltungsreihe, „weil sie keinen anderen Ausdruck für 'schrecklich' fanden“, meint Ben Patterson, einer der damals mit am Piano sägte. Keiner aus der höchst heterogenen Gruppe gedachte, Fluxus zum akademischen Lehrfach zu machen. Doch genau dies geschah, zur Zeit ist Patterson Gastdozent an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg.
Der US-Amerikaner Ben Patterson war erster Kontrabassist im Philharmonischen Orchester von Ottawa (Kanada). Danach war er zwei Jahre mit dem Symphonieorchester der 7. US-Armee in Deutschland und fand Anschluß an die rheinische Avantgarde-Szene. Damals hielten sich von den späteren Weltberühmtheiten auch Nam June Paik und der Komponist und Theoretiker John Cage in Köln auf. Da ihn neben der Musik schon immer fast alles von A(nthropologie) bis Z(en) interessiert hatte, war für ihn die praktizierte Verschmelzung aller Bereiche im Fluxus eine folgerichtige Konsequenz.
Seine erste Einzelausstellung mit kleinen Objekten, den „puzzle poems“, hatte er 1962 in Paris in der Galerie Legitime, die sich unter dem Hut auf dem Kopf von Robert Filliou befand und somit durch die Stadt wanderte. Ben Patterson ging erst 1963 nach New York zurück. Dort war noch für Jahre das aktive Fluxuszentrum, auch wenn die Arbeit der einzelnen Künstler sich mehr und mehr auseinander entwickelte. Fluxus war schließlich mehr eine Haltung als ein Verein.
Doch trotz der offiziellen Feier des dreißigsten Jubiläums 1992 in Wiesbaden ist die Bewegung nicht tot. „Wenn es kein Fluxus mehr geben sollte, gäbe es mich nicht mehr. Nächsten Monat beginnt eine große Ausstellung in Minneapolis und geht dann für zwei Jahre auf Tournee in den USA. Wenn das Tod ist, ist das ein komischer Tod mit so vielen Leichen, die überall gezeigt werden.“
Für Ben Patterson ist die Hamburger Hochschule für bildende Künste nicht ganz neues Terrain. Schon 1960 besuchte er sie, um die Ästhetik-Vorlesungen von Max Bense zu hören, was sich jedoch nach fünf Tagen als zu schwierig herausstellte. Inzwischen ist Fluxus eine wichtige Tradition an der HfbK. So gehörte der vor kurzem mit dem Lichtwarkpreis der Hansestadt geehrte HfbK-Professor Stanley Brouwn von Anfang an dazu, der Däne Henning Christiansen, der Poet Emmet Williams und Robert Filliou waren zeitweilig Gastdozenten, um nur einige zu nennen, und in seinen aktionistischen Anfängen auch der langjährige Ästhetikprofessor Bazon Brock.
Wenn Ben Patterson, der sich ab 1968 für zwanzig Jahre von der Kunst zurückgezogen hatte, heute Fluxus unterrichtet, geht es nicht mehr wie früher um Protest. Die Grenzen der Künste sind längst aufgebrochen, und heute scheint alles möglich. „Doch bei dieser Freiheit ist eben nicht alles möglich, es muß
1zumindest gut gemacht sein“, sagt er mit seiner ruhigen, eindringlichen Stimme. „Entscheidend ist die Haltung, immer erneut zu experimentieren und sich einen neuen, unverdorbenen Blick auf das Material zu bewahren.“
„Ein wesentlicher Teil von Fluxus geht heute in Richtung Performance“, so Patterson. „Dabei ist eine gewisse Disziplin zu beachten. Die Arbeit muß eine Form haben, damit sie als Stück erkennbar wird. Man muß aus dem Chaos, das überall ist, eine neue Linie herausfinden“. Dafür ist „der Großonkel John Cage“ mit seinem Begriff der Funktion von Zeit sehr wichtig. Patterson traf Cage 1961 in Köln, als er eigentlich Stockhausen aufsuchen wollte, und war von jenem ebenso begeistert, wie von dem egomanen Deutschen enttäuscht.
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