Zucken und Drängen

■ Schmitt-Rottluff-Aquarelle im Gerhard Marcks-Haus: Expressionismus, eingefangen

Karl Schmidt-Rottluff ist sich treu geblieben. Von seinen frühesten malerischen Anfängen, als 16, 17jähriger Teen um die Jahrhundertwende, bis in seine letzten Farbstift- und Tuschpinselarbeiten siebzig Jahre später, war und blieb Schmidt-Rottluff ein großer Exzessiver der Farbe. Einer, der sein Gelb leuchten ließ und sein dumpfes Lila drücken, der sein Rot kraftvoll gegen das komplementäre Grün setzte und sein Blau für sich stehen ließ. Ein Farb-Maniac.

In Bremens Gerhard Marcks- Haus ist ab Sonntag, 31.1., für ein Vierteljährchen eine Ausstellung zu Hause, die den Werdegang und die Konsequenz Schmidt-Rottluffs anhand seiner Aquarelle nachzeichnet. Lange hatte das Internationale Kunsthistorikertum und Ausstellungswesen diesen Arbeitsbereich Schmidt-Rottluffs ignoriert, hatte ihn als Vorarbeit für seine für wichtiger gehaltenen Ölmalerei und die Holzschnitte abgetan.

Von vorne bis hinten, von den Anfängen bis zu seinem künstlerischen Ende ist bei Schmidt-Rottluff der Drang spürbar, über die Grenzen zu springen, die ihm der realistische Rest in seiner malerischen Konzeption setzt. Schon früh, noch vor seiner Zeit in der Expressionisten-Gemeinschaft „Die Brücke“, führt er einen Pinsel, der sich austoben will, rührt er Farben, die nicht abbilden wollen, sondern ausdrücken, expressiv sein.

In keiner anderen Arbeitsweise wird dies so deutlich wie in dem schnellen Aquarell, wo, ohne daß seine Bilder an Farbintensität verlieren, die Farbpigmente nur so fließen, wo sie ihrer eigenen Physik auf eine Art folgen, die dem Zufall große Spielräume läßt und den Abstraktionsgrad der Formen erhöht. Ungestüm und wild sind diese, grob vereinfacht gegenüber ihren klassisch gehaltenen Themen: Landschaft, Stilleben, Portrait. Doch den weiteren Schritt, denjenigen über die Grenze des Gegenständlichen, den gesteht sich Schmidt-Rottluff nicht zu. Nie.

Im Gegenteil: Damit er nicht in Versuchung kommt, bleibt er durch die Jahre konsequent dabei, seinem Temperament und den flächig gesetzten Farbflecken durch mächtige, schwarze Konturlinien ihre Schranken zu setzen. Und die beachtet er, mit den Jahren immer stärker, wird deutlicher, gegenständlicher, seine Motive werden wiedererkennbarer. Ein Rettungsanker für einen, der fürchtet, sich im Meer der Farben zu verlieren. Für einen, der den Drang nicht los wird, aber immer wieder zurückzuckt. Einen, der sein Leben lang auf einer Position verharrt, ohne sich weit zu bewegen. Einen, über den die Zeit dampfwalzenmäßig hinweggeht. Einen, der sich treu bleibt, komme was wolle.

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Ausstellung bis zum 25.4.1993

Katalog, 208 S., mit ganzseitigen Farbtafeln aller in der Ausstellung gezeigten Aquarelle, 45 Mark