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Die Phantasie der ZensorInnen

Die Kreuzritter der Moral wollen der Kunst an den Kragen  ■ Von Marjorie Heins

Die Zensurdebatte, die seit drei Jahren in den verschiedenen amerikanischen Kunstsparten läuft, hat schwerwiegende Konsequenzen für Frauenrechte, denn der meistzensierte Gegenstand ist noch immer Sex. Kunst, die sich mit Sexualität und Geschlechterpolitik auseinandersetzt, ist oft feministisch oder drückt auf andere Weise einen Dissens gegenüber herrschenden Normen aus. Dennoch sind die Feministinnen Amerikas, wie man weiß, durchaus nicht einer Meinung, wenn es um Zensur geht; einige sprechen sich sogar für das Verbot von Kunst und Literatur mit eindeutig sexueller Thematik aus.

Beispiele für die Beziehung zwischen Zensurdebatte und Frauenrechten gibt es reichlich. Zwei der vier PerformancekünstlerInnen, deren Stipendien der „National Endowment for the Arts“ (NEA, staatliche Künstlerförderung) 1990 aufgrund von politischem Druck gestrichen wurden, waren Karen Finley und Holly Hughes. Beide beschäftigen sich in ihrer Kunst vor allem mit Sexualität. Holly Hughes spricht in ihren klugen, lyrischen Monologen offen und mit nur mühsam unterdrückter Wut vor allem über ihre lesbische Sexualität und Erfahrungen mit der homophobischen Doppelmoral. Finleys Performance-Auftritte sind wilde Proteste gegen Vergewaltigung, Inzest, häusliche Gewalt, Obdachlosigkeit, Homophobie, Aids, sexuelle Belästigung, US-Imperialismus und ein ganzes Bündel weiterer Übel. Kritiker griffen als Beispiel für ihre „Verderbtheit“ (und damit ihre Unwürdigkeit staatlicher Förderung) eine Szene aus ihrer Performance „We Keep Our Victims Ready“ (Wir bereiten unsere Opfer zu) auf, in der sie – Symbol für die Degradierung von Frauen in den USA – ihren nackten Körper mit Schokolade beschmiert. Künstlerinnen wie Finley und Hughes sind wichtig, sie haben etwas zu sagen über Frauenrechte und weibliche Sexualität – und deshalb werden sie angegriffen.

Eine weitere Performancekünstlerin, deren Name in den fundamentalistischen Attacken gegen die NEA immer wieder auftaucht, ist Annie Sprinkle. Sie arbeitete früher als Prostituierte und Porno- Darstellerin und demystifiziert den weiblichen Körper in ihren Auftritten mit Witz und sexueller Offenheit und sondiert die Verknüpfung von Politik, Pornographie und Prostitution. Ihre Arbeiten sind, wie die von Finley und Hughes, entschieden nicht pornographisch: es geht um Sex, aber nicht um die Erregung sexueller Gefühle. Tatsächlich zeigt Annie Sprinkle die Schattenseiten der Pornoindustrie und dramatisiert ihre schmerzlichen Erfahrungen als Prostituierte mit brutaler Offenheit. Weil sie jedoch auf der Bühne auch masturbiert und ihr Publikum dazu einlädt, sich durch ein Spekulum ihren Muttermund anzusehen, ist sie als Pornographin verschrien und gilt als Beleg für den unwiderruflichen moralischen Niedergang der NEA. Annie Sprinkle hat übrigens nie eine NEA-Förderung erhalten – aber einige ihrer Auftrittsorte.

Annie Sprinkles Performances sind sexuelle Aufklärung: als unverblümtere Version der populären TV-Tante Dr. Ruth beantwortet sie Fragen aus dem Publikum über Sex. Ihre Themen – weibliche Sexualität und sexuelle Befriedigung – waren schon immer Teil einer kritischen Debatte in der Frauenbewegung. Die Zensurangriffe auf sie zeigen daher überdeutlich ihren frauenfeindlichen Charakter – auch wenn eine dünne Schicht feministischer Rhetorik darüberliegt, die jeder religiöse, rechtslastige und antipornographische Kreuzritter inzwischen zu benutzen gelernt hat. Die Attacken gegen Finley, Hughes und Sprinkle als „Pornographinnen“ beweisen aber, daß im Zentrum der Besorgnis ihrer Kritiker allein die sexuelle Deutlichkeit ihrer Programme steht – und nicht etwa die Unterdrückung der Frauen.

Die potentiellen ZensorInnen haben auch Werke angegriffen, die nicht staatlich gefördert werden, jedoch ebenfalls weibliche Sexualität verhandeln oder Mädchen und Frauen über ihre Körper aufklären. Bücher der Bestsellerautorin Judy Blume, die ihre Geschichten oft aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen erzählt und sich mit der Sexualität von Erwachsenen und Jugendlichen beschäftigt, stehen regelmäßig an der Spitze von Indexlisten mit Titeln, die aufgrund von Protesten „moralisch engagierter“ Eltern oder Politiker aus öffentlichen Bibliotheken entfernt oder von schulischen Leselisten gestrichen werden. Blume erregt die Phantasie der Zensoren mit der Erwähnung von Ungeheurlichkeiten wie Masturbation, Menstruation und Erektion.

Auch der feministische Frauengesundheitsklassiker „Unser Körper – Unser Leben“ ist immer wieder Zielscheibe lokaler Moralapostel.

PionierInnen der Geburtenkontrolle, deren Anliegen die Verbreitung von Informationen über Sexualität und Kinderkriegen war, wurden immer wieder als PornographInnen angegriffen. Noch am Anfang dieses Jahrhunderts wurde eine von ihnen, die Amerikanerin Margaret Sanger wegen Verbreitung von obszönem Material angeklagt und ins Gefängnis gesperrt.

Ein weiteres Problem sind die fehlgeleiteten Versuche feministischer Zensur von Kunst, und ein besonders eklatanter Fall ereignete sich Anfang 1992 in einem College in Pennsylvania. Eine Assistentin forderte, unterstützt von der Frauenkommission des Colleges, die Entfernung eines Druckes von Goyas berühmter „Maja Desnuda“ von den Wänden des Klassenraumes. Sie behauptete, die üppigen Formen der Nackten lenkten die Studenten vom Unterricht ab und führe dazu, daß männliche Studenten über sie, ihre Lehrerin, im unbekleidetem Zustand phantasierten, weshalb die Anwesenheit der „Maja“ einen Fall sexueller Belästigung darstelle. Das College gab ihrem Begehren nach und hängte den Druck ab – erst nach Protesten ihrer KollegInnen von der Kunstfakultät wurde das Bild wieder aufgehängt. Es war nicht das erste Mal, daß das Gemälde wegen „Immoralität“ in Schwierigkeiten geriet: 1959 weigerte sich die Post in den USA, eine Postkartenreproduktion der „Maja“ zuzustellen, die von einer Filmgesellschaft als Werbung für ihren Goya- Film gedruckt worden war. Und kurz vorher hatten die Postboten der Philippinen die Zeitschrift Time nicht befördert, weil auf ihren Kulturseiten eine Reproduktion desselben Gemäldes abgedruckt war.

Ob man die „Maja Desnuda“ nun für sexuelle Belästigung oder für unmoralisch hält, ändert nichts daran: die Rechtfertigung von Zensur durch die engstirnige Interpretation eines komplexen und vieldeutigen Kunstwerks ist ganz einfach unakzeptabel.

Wie alle Zensurkampagnen dient auch die gegenwärtige Attacke gegen sexuelle Äußerungsformen vor allem den Politikern, weil sie von den wirklichen sozialen und ökonomischen Problemen der amerikanischen Gesellschaft ablenkt.

Je erfolgreicher es diesen Kreuzrittern der Moral gelungen ist, sich einer feministischen Sprache zu bedienen, desto genauer sollten Feministinnen heute hinsehen und desto lauter sollten sie protestieren.

Die Autorin ist Direktorin des „American Civil Liberties Union Arts Censorship Project“ und war früher Leiterin der Bürgerrechtsabteilung der Staatsanwaltschaft von Massachusetts.

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