: Wenn Flucht krank macht
■ Arbeitskreis: Refugio und Klinikinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit
Wenn Flucht krank macht
Arbeitskreis: Refugio und Klinikinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit
Was ist mit dem jungen Kurden, der wegen seines Magengeschwürs in der Inneren behandelt wird? Morgens kommt er nicht aus den Federn und abends geistert er herum, raucht eine Zigarette nach der anderen und kommt nicht zur Ruhe. Fangen Sie mit dem jungen Mann bloß keine Diskussion über das Rauchen an, empfahl Refugio- Mitarbeiter Theo von der Marwitz den KrankenpflegerInnen des Zentralkrankenhauses Ost. Auf Einladung der Klinikinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit berichtete er von seinen Erfahrungen aus der psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen: Möglicherweise erinnert sich der junge Kurde Abend für Abend an die Folterungen in einem türkischen Gefängnis. Und die Patientin, die einen Nervenzusammenbruch erleidet, wenn sie ans EKG angeschlossen werden soll, hat wahrscheinlich ein Flashback erlebt: Mit Elektroschocks wurde sie in ihrem Heimatland gefoltert.
„Oft geraten ausländische Patienten in die Psychiatrie und wir wissen gar nicht, was mit ihnen los ist“, klagte ein Pfleger. Da ist, vor allem anderen, die Sprachbarriere: „Manchmal können wir uns mit Englisch verständigen“, berichtete Hans Haack, Leiter der psychosomatischen Abteilung im Zentralkrankenhaus Ost. Doch da Englisch sowohl für die Flüchlinge als auch für die Ärzte meist eine Fremdsprache sei, gebe es in den Gesprächen bereits eine „gehörige Fehlermenge“. Kaum einfacher sei das Dolmetschen. Nur zu oft hat der Arzt einen Übersetzer sagen hören: „Der sagt jetzt das und das, aber eigentlich meint er was ganz anderes.“ Der Psychiater warnte davor, die Krankheiten ausländischer PatientInnen zu bagatellisieren: als „transalpines Syndrom“ oder „morbus bosporus“.
Und wie schließlich sollen Flüchtlinge zu Ärzten Vertrauen haben, deren Sprache sie nicht sprechen, in einem Land, dessen Gesundheitssystem sie nicht kennen, in der Unsicherheit, ob sie bleiben können oder bald wieder weggeschickt werden? Die Flüchtlinge leben hier häufig in einer Unsicherheit, die sich wenig von der Verfolgungssituation in ihrem Heimatland unterscheidet, gab Refugio-Mitarbeiterin Heimke Lührs zu bedenken. Die kleinsten Vorfälle können Panik auslösen. Und bei der Bedrohung durch rassistische Angriffe würden viele Flüchtlinge „retraumatisiert“.
In Krankenhäusern, die auf die Behandlung von Folteropfern spezialisiert sind, werde, um unnötige Angst zu vermeiden, häufig auf Laboruntersuchungen oder EKG und EEG verzichtet, berichtete Theo von der Marwitz. Für manche Patienten sei aber auch wichtig, daß ihnen ein Arzt sagt: Sie sind gesund oder wir können sie behandeln. Denn häufig drohten Folterern ihren Opfern, sie könnten nie wieder geheilt werden. Um traumatisierten ausländischen PatientInnen besser helfen zu können, wollen die Klinikinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit des Zentralkrankenhaus Bremen Ost und Refugio eine Arbeitsgruppe gründen. dir
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen