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Sex mit der Stoppuhr neben dem Bett

Callboys im Warentest: Auf der Suche nach dem abrufbaren Sex erweisen sich für Frauen das Angebot und der Service als bescheiden/ Rund einhundert Callboys arbeiten in Berlin  ■ Von Anne-Kathrin Koppetsch

Berlin. „Boy, gutaussehend, gut bestückt, empfängt Dich bei Kerzenschein und einem Drink.“ Klingt sehr verlockend, diese Annonce im Tip zwischen den Gayboys, Transsexuellen und Busenstars unter den „Profis“. Mann hat es bekanntlich nicht allzu schwer, wenn bei ihm der sexuelle Notstand ausbricht, aber was macht Frau, wenn der Freund im Urlaub ist und der Lover keine Zeit hat? Also nehme ich all meinen Mut zusammen und greife zum Telefonhörer. „Hallo“, tönt es samtweich vom anderen Ende der Leitung. „Ja, du kannst gerne kommen“, sagt die gedehnte, leicht affektierte Stimme, „aber ich kann dir nicht allzuviel versprechen, ich bin nämlich schwul.“ Noch ein leises Lachen, als ich ihm mitteile, daß mir 180 Mark nur für eine Massage zu teuer sind.

Also weiter im Text, diesmal in der Zweiten Hand. „Unser Dressman ist ein Meter 83, 28 Jahre, hat braune Haare und braune Augen“, spult eine weibliche Stimme die Vorzüge des einzigen männlichen Modells im Etablissement herunter. Kostenpunkt 150 Mark die Stunde, An- und Abfahrt inbegriffen. Auch ein „Dressman mit Niveau“, der sich mit bemüht französischem Akzent sogar zum Verkehr ohne Gummi überreden läßt, findet keine Gnade vor meinen Augen. Als „zärtlich und diskret“ preist sich derjenige an, dem ich von den wenigen „Dressman nur für Sie“ zwischen den „süßen Thais“ und „Polenmodellen“ in der BZ am Sonntag schließlich den Vorzug gebe.

Das Finanzielle wird vorher erledigt

Verqualmte Luft und HipHop- Musik schlagen mir entgegen, als Sven* die Eisentür zum „Studio Amalia“ öffnet. Nachdem die Augen sich an das rote Licht gewöhnt haben, erkenne ich ein französisches Bett an der holzverkleideten Stirnwand. Mit einer großzügigen Handbewegung weist Sven auf einen der beiden Korbsessel an dem kleinen runden Tisch in der Mitte.

„Willst du was trinken?“ fragt er und streicht sich mit der Hand durch das blonde Wuschelhaar. Gekonnt läßt er den Schaumwein in die Sektgläser perlen. Unter seiner engen Jeans lassen sich die kommenden Freuden bereits erahnen. „Was möchtest du denn genau?“ erkundigt er sich, während er mir galant Feuer reicht. „Im Untergeschoß gibt es noch einen Sado-Maso-Raum, wenn du magst“, – er weist mit dem Kinn auf eine Treppe hinter dem Paravent – „ist aber teurer.“ Hundert Mark sei das Minimum, dafür gebe es eine halbe Stunde „Französisch total“, und ein bißchen schmusen, und dann mal sehen, erklärt er. Mehr wollte ich fürs erste auch nicht anlegen.

Noch haben wir nicht aufgeraucht, da bittet er darum, das Finanzielle zu erledigen. Diskret läßt er den Geldschein in seiner Jeans verschwinden, drückt die Zigarette aus und zieht sich das Sweatshirt über den Kopf. Ich genehmige mir einen weiteren Schluck von dem widerlich süßen Gesöff, dann schnüre ich mir die Schuhe auf. Währenddessen öffnet er den Reißverschluß seiner Jeans und läßt sie langsam an den Schenkeln entlang zu Boden gleiten. Der rote Tanga bedeckt nur noch gerade das Notwendigste. Als er zum Bett geht und die Decke zurückschlägt, schwingt er die Hüften und wackelt mit seinem strammen Hinterteil. Dann knipst er die rote Glühbirne aus. Nur noch eine Kerze erleuchtet den Raum. Als er die schließlich ausbläst, dudelt der CD-Player immer noch.

Arbeitsschluß nach Klingelzeichen

Minuten später werden wir durch eine Türklingel aufgeschreckt. „Bleib liegen“, sagt er, „eigentlich ist die Zeit um, aber wir können noch ein bißchen weitermachen.“ Wie bitte? Der Typ hat doch noch nicht mal einen Gummi auf dem Schwanz! Endlich habe ich es geschnallt: Das soll's jetzt schon gewesen sein, der will gar nicht mehr bumsen! „Verkehr kostet extra“, erklärt der geschäftstüchtige junge Mann und angelt schon nach seinem albernen roten Höschen unter der spießigen grünen Bettdecke mit den lila Äpfeln. Natürlich, wie soll der sonst sieben Kundinnen am Tag schaffen! „Gleich bumsen ohne Vorspiel wäre fürs gleiche Geld gewesen.“ Das hätte ich doch zu gerne erlebt! Allerdings, so gut war er nun auch wieder nicht. Soll er sich seinen Steifen für die Nächste aufheben.

„Willst du deinem Freund eins auswischen?“ fragt Thomas* am Telefon, als ich ihm sage, wie alt ich bin. „Nein, wieso?“ „Entweder rufen hier die ganz Jungen an, die nicht mehr Jungfrau sein wollen, wenn sie das erste Mal mit ihrem Freund schlafen. Oder die Alten, die keinen mehr abkriegen. In deinem Alter, die haben sich meist über ihren Freund geärgert und wollen sich revanchieren!“ Wir verabreden ein unverbindliches Treffen im „Locus“ am Marheinekeplatz.

Eher klein geraten, mit gefütterter Jeansjacke und unauffällig frisiertem braunen Haar, kommt er auf mich zu und fragt unsicher, ob ich diejenige bin, mit der er verabredet ist. Thomas ist schon seit einigen Jahren im Geschäft, wie lange genau, weiß er nicht. Der Job mache ihm schon meistens Spaß, sagt er. Die Neugierde auf das Ungewisse, das ihn erwartet, verursache noch jedesmal ein Kribbeln in den Beinen, wenn er die Treppen zu einem Hausbesuch hochsteigt. Manche wollen Sex aus dem Stand, manche sind einsam und wollen nur reden, manche wollen Zärtlichkeit und Zuwendung, erzählt er.

Nicht jeder Auftrag wird ausgeführt

Oft ist es aber auch schwierig und anstrengend. Wenn er Männer bedienen muß. Oder ältere Frauen. „Man denkt an was anderes, konzentriert sich, und dann ist es vorbei.“ Bis jetzt hat er es immer noch geschafft, wenn es sein mußte. In extremen Fällen hat er den Auftrag aber auch schon abgelehnt. Und manchmal hat er Probleme, sein Geld zu bekommen. „Die Kundinnen zahlen hinterher, das ist anders als bei den weiblichen Prostituierten. Und wenn sie nicht zufrieden waren, dann weigern sie sich.“ Bis zu 6.000 Mark im Monat verdient er, steuerfrei natürlich. Im Moment etwas weniger, wegen der Rezession, die sich auch im Gewerbe auswirkt. Etwa 30 Stammkunden hat er seiner Schätzung nach. Eigentlich könnte er zufrieden sein. Aber so einfach ist das nicht. „Meine Eltern wissen nicht, daß ich das mache. Viele meiner Freunde auch nicht“, sagt er leise und starrt auf die Tasse mit der heißen Schokolade, in der langsam die Sahne schmilzt. „Und die dürfen es auch nie erfahren. Schreib bloß nicht so, daß die mich erkennen, die lesen alle taz.“ Aus Geldmangel hat Thomas angefangen, sich zu prostituieren. Und auf jeden Fall will er so bald wie möglich aussteigen. „Studieren, das wär' gut. Dann hätte ich zwar erst mal weniger Kohle, aber zumindest eine Perspektive.“ Er hat Angst, daß es ihm so gehen wird wie einem 50jährigen schwulen Kollegen, der kaum noch Kunden hat und dessen Probleme er sich einmal die Woche anhört. Gegen Bezahlung natürlich. „Irgendwann dreht sich alles nur noch ums Geld.“ Die Konkurrenz ist hart. Manchmal rufen Kollegen an, die seine Anzeige in der Zeitung gelesen haben, und fragen: „Na wie läuft's bei dir?“ Manchmal bekommt er auch obszöne Anrufe, vorzugsweise nachts, erzählt er, während wir auf seinen am Straßenrand geparkten Porsche Turbo zugehen. „Ich bring' dich noch nach Hause.“

Irgendwann geht es nur noch ums Geld

Wie viele Callboys es gibt, ist offiziell nicht bekannt. Weder männliche noch weibliche Prostituierte müßten sich in Berlin registrieren lassen, erklärt Peter Bargstedt von der Senatsverwaltung für Gesundheit. Beratung bei der Berliner Aidshilfe und bei den Gesundheitsämtern in den Bezirken erfolgen auf freiwilliger Basis. Seit März 1992 gibt es eine Selbsthilfegruppe für Stricher, Callboys und Freier, die aus der Berliner Aidshilfe hervorgegangen ist. Das Ziel sei ähnlich wie bei „Hydra“, der Selbsthilfegruppe für weibliche Prostituierte, eine Anerkennung des Gewerbes als Berufsstand, erklärt Thomas Schwarz, der „Querstrich“ ins Leben gerufen hat. Etwa 25 Betroffene kämen zu den offenen Treffs jeden Montagabend, zehn davon arbeiten kontinuierlich in Arbeitskreisen. Mitarbeiter gehen davon aus, daß in Berlin mindestens 100 Männer als Callboy arbeiten.

Ein Teil von ihnen betreibt das Gewerbe als Fulltimejob, selbständig, für Agenturen oder in Etablissements. Andere verdienen sich mit ihrem Hobby hin und wieder ein paar Mark dazu, Studenten oder auch Berufstätige. So wie King, der gutgelaunt den Hörer abnimmt und gleich zu einem Schwätzchen aufgelegt ist. „Wann soll ich kommen? Wenn du willst, sofort, und solange, wie du willst!“

* Namen von der Red. geändert.

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